Erste Fahrt im Audi Q6 e-tron

26.07.2023 von Thomas Geiger

Zurück zum Vorsprung

Bald ist es soweit: Audi gewährt einen ersten Ausblick auf den Q6 e-tron, der auf der neuen 800-Volt-Plattform PPE basiert und die Ingolstädter wieder ganz nach vorne boosten soll. Wir konnten uns bereits einen ersten Eindruck von Audis wichtigstem Hoffnungsträger machen.

Audi sieht endlich Licht am Ende des Tunnels: Nachdem die Bayern in den letzten Jahren durch den Dieselskandal, lähmende Personalrochaden und die Probleme bei der Software-Schwester Cariad so ziemlich alles verspielt haben, was mal Vorsprung durch Technik war, und sich über eine zwei Jahre währende Durststrecke ohne nennenswerte Neuheit quälen mussten, werfen jetzt große Ereignisse ihre Schatten voraus (lesen Sie dazu auch das Kommentar von Robin Engelhardt).

Noch in diesem Jahr wollen sie zu Schätzpreisen von rund 70.000 Euro endlich den überfälligen Q6 e-tron enthüllen und den verfahrenen Karren mit diesem sauberen Stromer wieder aus dem Dreck ziehen.

Das Highlight: die PPE-Plattform

Schon für sich genommen wäre der Q6 e-tron als Konkurrent für Teslas Model Y, das SUV des Mercedes EQE, den Electrified GV70 von Genesis oder das Heer der chinesischen Elektro-Herausforderer ein Highlight – erst recht nach der endlosen Funkstille auf der Ingolstädter Premierenbühne. Doch was das elektrische SUV zum womöglich wichtigsten Audi des Jahrzehnts macht, ist seine PPE-Plattform (Premium Platform Electric). Denn sie ist – zugegeben, gemeinsam mit Porsche – in Ingolstadt unter der Regie der Ringe entwickelt worden und soll nach dem Q6 allein im nächsten Jahr noch drei weitere Modelle tragen: Erst kommt das SUV auch als Sportback, dann bauen die Bayern darauf mit flacher Silhouette die Nachfolger von A6 Avant (Vorstellung) und A7.

Dafür wechselt nun auch Audi endlich auf eine 800-Volt-Architektur, die im Q6 e-tron bis zu 270 kW Ladeleistung ermöglicht. Damit sollten zehn Minuten für 250 Kilometer reichen, stellen die Entwickler in Aussicht. Zum Start gibt es eine neue Batteriegeneration mit rund 100 kWh Kapazität, die in der Theorie bis zu 600 Kilometer Fahrstrecke ermöglichen soll. Und damit die Praxis davon nicht allzu weit abweicht, baut Audi serienmäßig eine neue Generation von Wärmepumpen ein und optimiert das Thermomanagement im Batteriepaket.

Zum Start: Allrad und rund 300 bis 455 kW

Auch die Motoren stammen aus einer neuen Generation und werden im Q6 erstmal paarweise eingebaut: Im Q6 55 e-tron quattro leisten sie zusammen 296 kW, haben 535 Newtonmeter und schaffen den Sprint von 0 auf 100 km/h in weniger als sechs Sekunden, und beim SQ6 e-tron quattro stehen 455 kW, 820 Newtonmeter und weniger als 4,5 Sekunden im Datenblatt. Damit entspricht der SQ6 e-tron ziemlich genau dem Elektro-Macan in der „Turbo“-Version, der ab 2024 auf der gleichen Plattform folgen wird.

Audi Q6 55 e-tron quattro Audi SQ6 e-tron quattro
Antrieb: Allrad Allrad
Batterie: ca. 100 kWh ca. 100 kWh
Reichweite (WLTP): ca. 600 km N/A
max. Ladeleistung: 270 kW 270 kW
Ladezeit DC: < 25 min (5–80 %) < 25 min (5–80 %)
Leistung: 296 kW 455 kW
Drehmoment: 535 Nm 820 Nm
0–100 km/h: < 6,0 s < 4,5 s
Verfügbarkeit: Weltpremiere Q4/23, Marktstart Q1/24 Weltpremiere Q4/23, Marktstart Q1/24
Preis: ca. 70.000 € (geschätzt) ca. 85.000 € (geschätzt)

Wenn sie es ernst meinen mit der Aufholjagd, dann müssten 200 km/h Spitze drin sein, im S-Modell womöglich sogar noch ein paar km/h mehr. Doch dabei soll es nicht bleiben: Zur Preiskorrektur kommt noch mindestens eine Version mit einem Motor und Hinterradantrieb in Verbindung mit einem kleineren Akku von schätzungsweise 80 bis 85 kWh. Für die Performance wird es auch noch eine Variante mit mehr Power und dem Kürzel RS auf dem Heckdeckel geben, der analog zu dem von uns erwarteten Porsche Macan Turbo S wahrscheinlich über 500 kW und 1.000 Newtonmeter leisten wird.

Neue Technik, aber bekanntes Design

Während die Plattform für Audi einen Riesensprung markiert, wirkt die Karosserie darauf vergleichsweise vertraut. Die Form ist nur eine Evolution des bekannten Audi-Stylings und lediglich bei der Lichttechnik zeichnet sich mit dynamischen Signaturen in der Front und aktiven, ja sogar kommunikativen OLED-Elementen am Heck eine kleine Revolution ab. Doch das Format passt perfekt in die Palette zwischen dem kompakteren Audi Q4 e-tron (4,59 m) und dem großen Audi Q8 e-tron (4,92 m). Genaue Daten gibt es zwar noch nicht, aber wer die Länge auf etwa 4,80 Meter und den Radstand auf knapp drei Meter schätzt, der erntet von den Entwicklern zumindest keine schrägen Blicke.

Damit wäre der Q6 e-tron zwar eine halbe Nummer kleiner als der elektrische Erstling Q8 e-tron, der noch auf dem konventionellen Q5 basiert, aber er bietet dank der designierten Elektroplattform vor allem den Hinterbänklern mehr Platz, hat den größeren Kofferraum und einen großen Frunk.

Dem Fahrer empfiehlt sich der Q6 e-tron als Prototyp endlich wieder als typischer Audi, weil er ihn mit Progressivlenkung, hecklastigem Quattro, aktiver Stahl- oder komfortabler Luftfeder etwas stärker ins Geschehen einbindet und sich nicht so belanglos und beliebig anfühlt, wie der aus dem Wolfsburger MEB konstruierte Q4 e-tron.

Mit der Software von Cariad

Doch wenn die Tarnung aus dem Cockpit mal verschwunden ist, will er wohl doch ein neues, ganz anderes Auto sein – schließlich soll sich die Plackerei mit der Softwareschmiede Cariad ja lohnen. Deshalb gibt es nicht nur schlauere Assistenzsysteme denn je und dem Vernehmen nach das größte und beste Head-Up-Display und die besten AR-Grafiken am Markt, sondern eben auch eine neue Bildschirmlandschaft und ein neues Bediensystem. Und selbst die dicksten Tarnmatten können darüber nicht mehr hinwegtäuschen.

Der freistehende Bildschirm bis über die Mittelkonsole zeichnet sich darunter bereits ab, die Sensorfelder am Lenkrad sind weithin sichtbar und die neue Bedieninsel in der Tür ebenfalls. Wenn da vom Licht über die Zentralverriegelung so viele Schalter zusammengefasst werden, sollte der Rest des Cockpits clean und kühl sein und es ist fast eine Überraschung, dass zumindest der Getriebeschalter noch immer dort sitzt, wo Audi-Fahrer ihn gewohnt sind: auf dem Mitteltunnel.

Kein Vorsprung, sondern eine Aufholjagd

Ja, sein Antrieb ist auf der Höhe der Zeit und mit ihm der Akku und die Ladeperformance. Das Fahrverhalten ist wieder typisch Audi und wenn das Cockpit hält, was die Tarnung verspricht, dann machen die Bayern auch innen einen Sprung. Doch für den großen „Vorsprung durch Technik“ kommt der Q6 e-tron schlicht ein, zwei Jahre zu spät. Und das liegt weniger an den Konkurrenten aus dem nahen Süden als an den Herausforderern aus dem Fernen Osten.

Und als laste das nicht schon schwer genug auf den Gemütern der Herren der Ringe, ist die Geduldsprobe mit der Premiere der Prototypen noch nicht einmal vorbei. So müssen die Bayern noch einmal Mut zur Lücke beweisen und gute Miene zum bösen Spiel machen: Denn obwohl das Beinahe-Heimspiel bei der IAA im September die perfekte Bühne für die Premiere wäre, lässt der Q6 e-tron erst ein paar Wochen später die Hüllen fallen – weil sich die Homologation verzögert hat.

Fotos: Audi

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