Sitzprobe im Kia EV9

05.06.2023 von Marcus Zacher

Der Flexitarier

Der große, kantige EV9 ist das neue elektrische Topmodell von Kia. Wahlweise mit sechs oder sieben Sitzen ausgestattet, richtet er sich an Kunden mit erhöhtem Platzbedarf, die dennoch komfortabel und zügig reisen wollen.

Erfreulicherweise hat sich Kia dabei nur wenig vom Design der Studie entfernt und bietet auf Wunsch sogar den originalen Farbton „Ocean Blue“ in matt oder glänzender Ausführung an, die dem Fahrzeug gut zu Gesicht steht. Mit einer Außenlänge von über fünf Metern, einer Breite von knapp zwei Metern (ohne Spiegel!) und einer Höhe von fast 1,80 Meter ist der EV9 eine stattliche Erscheinung und kommt damit an die Grenzen der hiesigen Parkinfrastruktur.

Allerdings ist Kia mit seinem XL-SUV natürlich nicht allein. So nimmt der EV9 die etablierte Premiumkonkurrenz von Mercedes in Form des EQE SUV (Vorstellung), den BMW iX (Fahrbericht), den gegen Jahresende erwarteten Volvo EX90, das etablierte Tesla Model X oder den jüngst aufgefrischten Audi Q8 e-tron ins Visier.

Von diesen Fahrzeugen hebt sich der EV9 nicht nur durch sein 800-Volt-Bordnetz ab, das wieder einmal hohe Ladeleistungen von deutlich über 200 kW und kurze Ladezeiten erwarten lässt, sondern auch durch seine serienmäßig drei Sitzreihen. Die bieten zwar auch Volvo und Tesla, allerdings zu Preisen von über 100.000 Euro. Bleiben noch Exoten wie der BYD Tang oder der VinFast VF 9 – falls dieser denn irgendwann einmal tatsächlich auf den Markt kommt.

Eigentlich ein Van

Doch zurück zum EV9. Neben seiner kantigen Optik mit einigen cleveren Details (siehe Bildergalerie) punktet er mit einem variablen Innenraum. Die zweite Sitzreihe kann längs verschoben werden. Damit lässt sich wahlweise die ohnehin großzügige Beinfreiheit erhöhen oder man opfert etwas Knieraum für mehr Platz für die Passagiere in Reihe drei bzw. das Gepäck. In der dritten Sitzreihe ist die Beinfreiheit wenig überraschend eingeschränkter, für kleinere Personen mag sie dennoch in Ordnung gehen. Der Sitzkomfort ist aber auch hier einwandfrei.

Werden alle Sitze genutzt, bleiben immerhin noch etwas über 300 Liter Kofferraumvolumen übrig. Klappt man die dritte Sitzreihe um, erhöht sich das Ladevolumen auf stattliche 828 Liter. Sind alle Sitze umgelegt, was bei der zweiten Sitzreihe leider nur im Verhältnis 60:40 möglich ist, steigt das Ladevolumen noch einmal. Wie groß genau der Kofferraum dann allerdings ist, verschweigt Kia derzeit.

Noch spektakulärer gestaltet sich das Stühlerücken, wenn man die 6-Sitzer-Option wählt. Dann kommen die Passagiere der zweiten Reihe nicht nur in den Genuss von Liegesitzen, sondern können ihr Gestühl auch um 270 Grad drehen: Für einen leichteren Einstieg oder um bspw. ein Kind anzuschnallen, können die Sitze um 90 Grad zur Türöffnung geschwenkt werden. Alternativ lassen sich dise nach hinten ausrichten, womit sich die Fond-Passagiere gegenübersitzen können. Bei dieser Sitzkonfiguration ist die Beinfreiheit dann allerdings deutlich knapper.

Zugegeben, Kia hat bei der Flexibilität reichlich Kreativität bewiesen – wie häufig sich allerdings sinnvolle Anwendungsfälle für die Drehstühle finden lassen, sei dahingestellt. Wir hätten uns hier stattdessen für den 7-Sitzer einen umklappbaren mittleren Sitz gewünscht.

Große Batterie und hohe Anhängelast

Anders als noch bei der Vorstellung Ende März angekündigt, wird es den EV9 in Deutschland vorerst ausschließlich mit der großen 99,8-kWh-Batterie geben, die wahlweise mit einem 150 kW starken Hinterradantrieb oder einem 283 kW leistenden Allradantrieb kombiniert werden kann.

Während die Version mit dem Hinterradantrieb (RWD) die höchste Normreichweite (541 Kilometer nach WLTP) erlaubt, beeindruckt die Allradversion (AWD) nicht nur mit den deutlich besseren Fahrleistungen und einer erst bei 200 km/h abgeregelten Höchstgeschwindigkeit, sondern – und das mag für viele Interessenten ausschlaggebend sein – mit einer fast konkurrenzlos hohen Anhängelast von 2,5 Tonnen. Bislang musste man dazu zum teuren BMW iX greifen, der Allrad-EV9 könnte dessen Basispreis von 77.300 Euro knapp unterbieten.

Immerhin können sich Interessenten des RWD-Modells über einen mit 90 Litern wirklich großen Frunk freuen, der sich jetzt ganz einfach per Knopfdruck öffnen lässt. Im Allrad-Kia ist dieser mit 52 Litern zwar wesentlich kleiner, aber ebenfalls gut nutzbar.

Und noch eine Besonderheit gibt es im Allradler: Die Einstiegsversion des EV9 ist ausschließlich in der Ausstattungslinie „Baseline“ erhältlich. Die gibt es auch für den Allradler, doch darüber hinaus offeriert Kia hier die sportlich angehauchte GT-Line, die auch auf diesen Fotos abgebildet ist. Dann bekommen die Kunden neben der sportiven Optik 100 Newtonmeter mehr Drehmoment und eine von 6,0 auf 5,3 Sekunden verringerte Beschleunigungszeit auf 100 km/h.

Autonomes SUV zum voraussichtlich fairen Preis

Technisch vorbereitet, aber zum Start aus regulatorischen Gründen noch nicht verfügbar, ist das bidirektionale Laden in Kombination mit Gebäuden und Infrastruktur (V2H – Vehicle-to-Home, bzw. V2G – Vehicle-to-Grid). Die bekannte V2L-Lademöglichkeit gibt es aber in jedem Fall. Darüber hinaus wird der EV9 als erster Kia den „Highway Driving Pilot“ (kurz: HDP) erhalten, der das autonome Fahren nach Level 3 ermöglicht, womit die Fahrer unter bestimmten Bedingungen sogar die Hände vom Lenkrad nehmen dürfen. Wie gut das in der Praxis funktioniert, können wir allerdings erst nach einem ersten Test berichten. Außerdem will Kia die OTA-Updatefähigkeit verbessert haben und nun deutlich mehr Steuergeräte per Funk aktualisieren können.

Der Produktionsstart des EV9 ist für den Juli angesetzt, das Modell wird – wie alle anderen Konzern-Fahrzeuge der E-GMP-Plattform – ausschließlich in Korea produziert. Die Auslieferungen sollen im Oktober starten, mit einem Bestellstart ist noch im Sommer zu rechnen. Zwar hat uns Kia noch keine Preise verraten, doch werden sich diese ein gutes Stück unterhalb der Premium-Konkurrenz bewegen. Mit einem Basispreis von unter 70.000 Euro kann daher gerechnet werden.

Fazit: Ein großer Van im SUV-Look

Der Kia EV9 ist ein stattliches Auto mit jeder Menge Platz und Flexibilität – ein echter Flexitarier eben. Früher fanden wir solche Innenräume nur in einem Van wieder, heute gibt es das Ganze in einem imageträchtigeren SUV-Kleid. So verspricht der Kia hohen Langstreckenkomfort kombiniert mit ordentlich Nutzwert zu einem für diese Klasse voraussichtlich fairen Preis – der dennoch für die meisten Familienkassen zu hoch sein dürfte.

Fotos: Kia

Technische Daten Kia EV9 99,8 kWh RWD Kia EV9 99,8 kWh AWD
Fahrzeugbeschreibung: 5-türiges, 6- bis 7-sitziges Oberklasse-SUV
ANTRIEB
Bauart: permanenterregte Synchronmaschine (PSM), Hinterradantrieb je eine PSM je an VA und HA, Allradantrieb
Leistung: 150 kW 283 kW
Drehmoment: 350 Nm 600 Nm (700 Nm*)
BATTERIE & LADESTANDARD
Energieinhalt (brutto/netto): 99,8 kWh/—
Wärmemanagement: Flüssig-Thermalmanagement
Ladestandard AC: Typ 2 11 kW 3p
Ladestandard DC: CCS > 200 kW
Ladezeit DC 350-kW-Ladestation: 24 min (10–80 %)
FAHRLEISTUNGEN
Höchstgeschwindigkeit: 185 km/h 200 km/h
Beschleunigung (0-100 km/h): 9,4 s 6,0 s (5,3 s*)
REICHWEITE & VERBRAUCH
Reichweite (WLTP): 541 km 497 km
Reichweite (EPA): 483 km N/A
Verbrauch (WLTP): 21,0 kWh/100 km 22,8 kWh/100 km
ABMESSUNGEN & GEWICHT
Länge x Breite (ohne Spiegel) x Höhe: 5,010 m x 1,980 m x 1,755 m ← (5,015 m x 1,980 m x 1,780 m*)
Radstand: 3,100 m
Wendekreis: 12,38 m
Gepäckraum bei 3/2 Sitzreihen: 312–333 l/828 l
Frunk: 90 l 52 l
Leergewicht: 2.501 kg 2.644 kg
Zuladung: 644 kg 671 kg
Anhängelast (gebremst/ungebremst): 950 kg/750 kg 2.500 kg/750 kg
cW-Wert: 0,28
PREIS
Verfügbarkeit: DE: SOP 07/2023, Bestellstart Sommer 2023, Auslieferungen ab 10/2023
Deutschland: < 70.000 € (geschätzt) GT-Line: ab 83.190 €
Österreich: N/A N/A
*GT-Line

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