Genialer Schachzug oder Gigantomanie?

04.08.2022 von Marcus Zacher

Die Bedeutung der Gigafactories für den VW-Konzern (Teil 2/2)

Kürzlich wurde am VW-Standort in Salzgitter der Grundstein für den Aufbau der ersten VW-eigenen Zellfabrik gelegt, der „SalzGiga“. EAM-Chefredakteur Marcus Zacher war bei dem Festakt dabei und hat die Bedeutung dieser Entwicklung analysiert. Teil 2 der zweiteiligen Serie.

Gamechanger Einheitszelle?

Der vielleicht wichtigste Aspekt der VW-Zellstrategie ist allerdings die Entwicklung der sogenannten Einheitszelle. Hierbei handelt es sich um ein neuartiges Hardcase-Zellenformat, das die Vorteile verschiedener Zellformate in sich vereinen soll. Das könnte durchaus gelingen: Bei herkömmlichen Hardcase-Zellen sind die Zellableiter oben auf der Zelle positioniert. Bei der Einheitszelle befinden sich die Zellableiter (auch Zellpole oder Zellterminals genannt) seitlich links und rechts an der Zelle – so wie es heute wiederum bei den Pouchzellen üblich ist. Der Vorteil dieser Anordnung: Es lässt sich dadurch ein gleichmäßigerer Stromfluss durch die Zelle gewährleisten, mit positiven Einflüssen auf die Leistungsfähigkeit und Haltbarkeit der Zelle.

Diese Konstruktion führt zu zwei weiteren, wichtigen Vorteilen: Dadurch, dass die obere und untere Fläche der Hardcasezelle eben bleibt, kann die Zelle nun von oben und unten gekühlt werden. Eine doppelseitige Kühlung bringt wiederum enorme Vorteile beim Schnellladen von Zellen mit sich. Das Nadelöhr ist hier allzu oft die Zelltemperatur und das Temperaturdelta innerhalb der Zelle – bedingt durch die einseitige Kühlung.

Mit der Einheitszelle könnten also deutlich schnellere Ladezeiten erzielt werden. Das dürfte nicht zuletzt für Porsche ein wichtiges Argument sein, um später auf die Einheitszelle zu wechseln, sind die Zuffenhausener doch stets an hoher Leistungsfähigkeit beim Laden und Entladen interessiert.

Ein dritter, wichtiger Vorteil der Einheitszelle ist die Anordnung des Venting-Ventils. Hierbei handelt es sich um eine Sollbruchstelle im Zellgehäuse, die jede Zelle aufweist. Das Venting-Ventil öffnet, wenn sich in einer Zelle aufgrund von Überlastungen oder Beschädigungen ein Gas bildet und dies zu einem Druckanstieg führt. Damit die Zellen nicht explodieren, wird der Überdruck durch die Venting-Öffnung gezielt abgelassen.

Das Problem: Bei klassischen Hardcase-Zellen befindet sich die Venting-Öffnung oben, das heiße Gas wird also in Richtung des Passagierraums geleitet. Aus diesem Grund sind die Unterbodenkonstruktionen bzw. die Batteriedeckel vieler Elektroautos durch Stahl geschützt, damit der Fahrgastraum bei einer Havarie nicht den Gasen bzw. den hohen Temperaturen ausgesetzt wird. Bei der Einheitszelle befindet sich das Venting-Ventil unten, wodurch das Gas wird nach unten weggeleitet werden soll. Damit kann auch die Barriere zwischen Zelle und Fahrgastraum vereinfacht werden, mit möglicherweise positiven Effekten auf Kosten und Gewicht.

Was der MEB für die Konzern-Elektroautos ist, könnte die Einheitszelle für die Batterien bedeuten

Das standardisierte Zellformat ist tatsächlich nichts weniger als eine Revolution. Geht es nach den Plänen der VW- und PowerCo-Vorstände, sollen perspektivisch 80 Prozent aller BEV im Konzern mit diesem Zellformat ausgerüstet sein – je nach Leistungs- und Reichweitenbedarf mit unterschiedlichen Zellchemien. Darunter die technologisch und produktionstechnisch nicht identischen Zellchemien für Lithium-Eisenphosphat- (LFP) und Nickel-Mangan-Kobalt-Kathoden (NMC). Das dürfte dann auch den Fahrzeugentwicklungsprozess stark beeinflussen. Denn von nun an definiert das festgelegte Zellformat das gesamte Fahrzeugpackage. Fahrzeugdesigner und Entwickler werden sich künftig stärker dem Diktat der Batterie unterwerfen müssen, was zu massiven Änderungen im Entwicklungsprozess führen wird.

Da die Batterie als Herzstück eines E-Autos aber nun einmal die wesentlichen Eigenschaften eines Elektroautos bestimmt, könnte diese Strategie aufgehen. Sonderfälle, wie etwa der angekündigte Porsche Elektro-Boxster und –Cayman, könnten dann dennoch auf ein eigenes Format wechseln, denn immerhin sollen 20 Prozent der Konzernmodelle andere Zellen nutzen können.

Die Einheitszelle könnte damit das werden, was die MEB-Plattform für die konzernweite Elektroautoentwicklung war: Eine wichtige Grundlage zur Kostenreduktion bei gleichzeitig hoher Flexibilität.

PPE ab 2026 mit Einheitszelle?

Am Rande der Veranstaltung konnten wir bereits einen Blick auf ein Batteriemodell einer möglichen PPE-Batterie mit Einheitszelle und Cell-to-Pack-Technologie werfen. Denn das klassische Zellmodul hat – nicht nur bei VW – künftig ausgedient, stattdessen werden die Zellen direkt in das Batteriesystem eingebaut.

Bei dem gezeigten Batteriekonzept handelte sich zwar noch um einen frühen Entwurf und offenbar kann diese Konstruktion aus Gründen der Reparierbarkeit so noch nicht eins zu eins umgesetzt werden, doch zeigt das Modell bereits anschaulich, wohin die Richtung geht. Etwa ab 2026 dürften daher die PPE-Stromer mit solch einer Batterie mit Einheitszelle und doppelseitiger Kühlung unterwegs sein. Bis dahin startet man noch mit einem herkömmlichen Batteriekonzept mit zugelieferten Zellen und einzelnen Zellmodulen.

Ein wichtiger Treiber hinter der Batterie- und Zellstrategie dürfte Batterieentwicklungschef und PowerCo-CEO Frank Blome gewesen sein. Blome war vor seiner Karriere im VW-Konzern Geschäftsführer der Accumotive, der Batterietochter der Mercedes-Benz AG (damals noch unter der Daimler AG). Hier war er verantwortlich für die Produktion und übernahm später in Personalunion auch die Geschäftsführung der Li-Tec – als allerdings schon klar war, dass der Zelltochter kein langes Leben mehr beschert sein würde. Er kennt also die Herausforderungen bei der Zell- und Batterieentwicklung im Detail und hat offenbart gelernt, wie man günstige und konkurrenzfähige Zellen produzieren kann. Ob das auch in der Praxis gelingt, werden die kommenden Jahre zeigen.

Fazit: Keine Zellfabrik wäre das höhere Risiko

Die Pläne von VW sind durchaus gewagt: Innerhalb kurzer Zeit will man nicht nur mit der etablierten, asiatischen Zellkonkurrenz gleichziehen, sondern diese sowohl kostentechnisch als auch technologisch überholen. Das kann nur funktionieren, wenn man die Zellproduktion und -entwicklung von vorne bis hinten verstanden hat und in der eigenen Hand hält.

Tesla hat das schon früh erkannt und ein nicht kleiner Anteil des Erfolgs der Amerikaner lässt sich auf den hohen Anteil der Eigenfertigung und –Entwicklung zurückführen. Doch VW holt auf. Mit der MEB- und der PPE-Plattform hat der Konzern zwei hochflexible Baukästen im Köcher, die hohe Skaleneffekte ermöglichen. Wenn es gelingt, diesen Ansatz auf die Zellproduktion zu übertragen, könnte der Konzern von enormen Kostenvorteilen profitieren und gleichzeitig technisch neue Akzente setzen. Der Druck auf Blomes Mannschaft dürfte daher in den kommenden Jahren enorm sein, schließlich muss sie nun beweisen, dass die hochgesteckten Ziele an Kosten, Produktion und Technologie erfüllt werden können.

Doch eine echte Alternative gibt es nicht: Sich als einer der größten Autokonzerne der Welt weiter auf ein Oligopol von Zellzulieferern zu machen, führt langfristig nur in noch größere Abhängigkeiten. VW geht damit einen wichtigen Schritt im Transformationsprozess. Scheitern darf dieser allerdings nicht.

Den ersten Teil verpasst? Erfahren Sie hier wie die Gigafactory in Salzgitter als Vorbild für weitere Zellfabriken in Europa dient und welche Chancen sich daraus ergeben:

Fotos: Volkswagen, Audi, M. Zacher

Lesetipp:

Ein exklusives Interview mit PowerCo-CEO Frank Blome finden Sie in der aktuellen Ausgabe 04/2022 der Elektroautomobil.

Hörtipp:

Wie wird eine Zelle entwickelt und produziert? Das erläutern wir im EAM-Podcast!

  1. Wasco sagt:

    Hier alle BEV über 100k zum 01.07.2022

    1. Tesla Model 3 ca. 1,52 Mio.
    2. Tesla Model Y ca. 805.000
    3. Wuling Hong Guang Mini EV ca. 760.000
    4. Nissan Leaf ca. 600.000
    5. Renault Zoe ca. 370.000
    6. Tesla Model S ca. 360.000
    7. Geely Chery eQ/Little Ant ca. 285.000
    8. BMW i3 ca. 250.000
    9. BYD Qin/Qin Pro EV/Qin Plus EV ca. 245.000
    10. BYD Yuan/S2/Pro EV/Plus EV ca. 240.000
    11. BAIC EU Serie ca. 235.000
    12. Hyundai Kona EV ca. 230.000
    13. BAIC EC Serie ca. 210.000
    14. Tesla Model X ca. 205.000
    15. SAIC Baojun e Serie/Kiwi EV/Nano EV ca. 200.000
    16. VW ID. 4/ID. 5 ca. 192.000
    17. GAC Aion S/EA6 ca. 190.000
    18. BYD Han EV ca. 180.000
    19. Changan BenBen EV ca. 170.000
    20. GW Ora R1 EV ca. 160.000
    21. Audi e-tron (Q8) ca. 160.000
    22. VW ID. 3 ca. 160.000
    23. Kia Niro EV ca. 150.000
    24. VW E-Golf ca. 145.000
    25. JAC iEV e Serie ca. 140.000
    26. Chevrolet Bolt ca. 130.000
    27. BYD e5 ca. 120.000
    28. Dacia Spring/Dongfeng EX1/Dongfeng Nano Box ca. 115.000
    29. Nio ES6 ca. 115.000
    30. Xpeng P7 ca. 110.000
    31. SAIC Roewe Ei5/MG 5 EV ca. 110.000
    32. MG eZS ca. 105.000
    33. Peugeot e-208 ca. 100.000
    34. Geely Emgrand EV ca. 100.000

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Podcast

Diagnose von HV-Batterien

Infrastruktur / Podcast

Zum Abo

Die aktuelle Ausgabe!

Die aktuelle Ausgabe!

EAM 02/2024 - April/Mai

EAM-Newsfeed

Follow @elektroautomobil
Social Media Inhalte laden
2 Klicks für mehr Datenschutz: Erst wenn Sie hier klicken, wird eine Verbindung zu den Social Media Plattformen Twitter, Facebook und Instagram hergestellt und Inhalte in die Website geladen. Beim Laden der Inhalte werden Informationen, wie Ihre IP-Adresse, von Ihrem Browser direkt an einen Server von Facebook/Twitter/Instagram in die USA übermittelt und dort gespeichert.
Weitere Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung Social Media Inhalte laden

Das könnte Sie auch interessieren