Vorstellung: Mercedes-Benz Vision One-Eleven

21.06.2023 von Thomas Geiger

Alles im Fluss

Mit einer spektakulären Sportwagenstudie holt Mercedes den legendären Sportwagen und Experimental-Prototypen C 111 in das Hier und Jetzt. Wie beim Ur-Modell nutzt Mercedes das Konzeptfahrzeug zur Einführung neuer Antriebstechnologien.

Er war der Spitzentrumpf in jedem Autoquartett und hat bei seinen seltenen Ausfahrten mehr Aufsehen erregt, als ein Ufo beim Landgang: Als Mercedes vor mehr als 50 Jahren den C 111 präsentierte, blieb den Petrolheads die Puste weg.

Doch so sehnlich sie die Schwaben auch angefleht haben – eine Serienfreigabe für das in knalligem Orange lackierte Hightech-Coupé hat es nie gegeben: 16 Experimentalfahrzeuge wurden gebaut, haben mit V8-Benziner, mit Wankel-Motor und sogar mit Dieselantrieb hunderte Rekorde eingefahren – und es trotzdem nie in die Produktion geschafft.

Eine Legende wiederbelebt

Doch vergessen hat dieses Auto keiner – auch nicht im Design. Im Gegenteil träumen wahrscheinlich alle im Team des Stilführers Gorden Wagener davon, noch einmal so einen Wow-Effekt zu erzielen und der Autowelt mal eben den Atem zu rauben. Und jetzt haben sie diesen Traum tatsächlich wahrgemacht: Denn still und heimlich und unter der Hand haben sie die alte Idee in den letzten Jahren in die Zukunft fortgeschrieben und nun bei einer Open-House-Party im kalifornischen Studio in Carlsbad endlich den Vision One-Eleven enthüllt.

Während sie sonst gerne auf den ikonischen Silberpfeilen herumreiten und das natürlich auch bei der Farbwahl exerzieren – wie etwa bei der im letzten Jahr präsentierten Designstudie Mercedes Vision AMG –, ist der One-Eleven im gleichen Kupfer-Ton gehalten wie das Original, nur, dass er heute noch tiefer glänzt und heller strahlt. Es gibt wie damals die schwarzen Dekorelemente, die statt der Lufteinlässe nun aber die ganze Kabine überspannen und natürlich hat auch die Neuinterpretation wieder Flügeltüren, in die dieses Mal nahtlos und hinter einer nur einseitig durchsichtigen Folie riesige Fenster eingelassen sind.

Flacher und kompakter E-Sportwagen

Das war es dann allerdings auch mit den Parallelen. Denn der One-Eleven ist keine Kopie und schon gar kein Retro-Auto – sondern eine mutige Fortschreibung mit grob verpixeltem LED-Grill statt Klappscheinwerfern und einem stark überspannten Karosseriebogen, der die Keilform ins Elektrozeitalter übertragen will. Dabei ist das kaum mehr als vier Meter lange Auto trotz der Batterie im Boden so flach und so reduziert, dass die nach oben aus dem Grundkörper herausragenden Kotflügel fast schon das einzige sind, was der nicht einmal 1,20 Meter hohen Karosserie Kontur und Kontrast gibt.

Innen spielen sie ebenfalls mit dem Kontrast von gestern und morgen. Denn hinter dem von der Formel 1 inspirierten Lenkrad spannt sich quer durchs Fahrzeug ein Display, dessen Pixel groß und dessen Grafiken grob sind wie bei den ersten Computern zu Zeiten des Originals. Selbst ein Commodore C64 war dagegen schon ein Grafik-Wunder. Doch davor schwebt ein Bildschirm von einer bislang im Auto noch nicht gesehenen Brillanz, und wer eine der gerade so populären VR-Brillen aufsetzt, der sieht als holistische Projektion in und ums Auto die Zukunft von MBUX dreidimensional vor seinen Augen schweben.

Technikträger für den Axialfluss-Motor

Zwar ist der Vision One-Eleven ein Traumwagen ohne konkreten Serienbezug, doch zumindest die Technik unter der spektakulären Hülle hat eine gewisse Bodenhaftung. Das gilt nicht nur buchstäblich für das ausgeklügelte Aerodynamik-Konzept, sondern vor allem für den Antrieb, mit dem die Schwaben die elektrische Performance auf das nächste Level heben wollen.

Bei der Batterie setzen sie deshalb auf Rundzellen, die wegen ihrer größeren Oberfläche leichter zu kühlen sind, und beim Antrieb zum ersten Mal auf die Motoren ihrer neuen Tochter Yasa: „Beim Axialfluss-Motor verläuft der elektromagnetische Fluss höchst effizient parallel zur Drehachse des Motors, während er sich im Radialflussmotor senkrecht dazu bewegt“, erläutert Tim Woolmer, der als Gründer von Yasa das bereits vor 200 Jahren erfundene Prinzip erstmals ins Auto gebracht hat und schwärmt von einer deutlich höherer Spitzen- und Dauerleistung, was für ein neues Niveau an Fahrdynamik sorge.

Vor allem aber schrumpfen die E-Maschinen bei gleicher Leistung in Format und Gewicht auf ein Drittel im Vergleich zu herkömmlichen Antrieben: Wo ein E-Motor im EQS so groß ist wie ein Fünf-Liter-Fass aus dem Getränkemarkt, hat die Yasa-Maschine bei gleichem Umfang nur noch die Dicke einer Hantelscheibe.

Mercedes-Benz Vision One-Eleven von schräg vorne

Selbst im limitierten Bauraum eines Supersportwagens ließen sich damit locker über 700 kW und mehr darstellen, versprechen die Entwickler und schwärmen schon vom möglichen Serieneinsatz des Radnabenmotors, der den Designern noch mehr Freiräume schaffen würde. Und wenn man das Showcar trotz seiner Fahrleistungen auf Niveau eines (Super-)Sportwagens auf theoretische 500 Kilometer Reichweite und mehr taxiert, schaut zumindest keiner irritiert.

Keine Chance auf eine Serie

Zwar werden technische Details wie die Yasa-Motoren und die flüssigkeitsgekühlten Rundzellen wohl die Basis für den ersten voll elektrischen AMG werden, der in zwei Jahren auf dem Plan steht. Und mit ein bisschen Glück übernehmen die Designer dafür auch ein paar Linien des One-Eleven. Doch macht in Carlsbad keiner einen Hehl daraus, dass es auch diesmal keine Hoffnung auf eine Serienproduktion gibt. Schade eigentlich.

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