Erste Mitfahrt im Mercedes EQG

04.04.2023 von Thomas Geiger

Die G-Klasse wird elektrisch

Bei seinen Elektrifizierungsplänen macht Mercedes auch vor seinem Urgestein, der G-Klasse, nicht halt. Ab Mitte nächsten Jahres soll deshalb eine vollelektrische Version über Stock und Stein surren können. Wie sich der Prototyp schon heute schlägt, zeigt unsere erste Mitfahrt im Mercedes EQG.

Von wegen Dinosaurier! Zwar wirkt der Mercedes-Außenposten in Graz wie der Jurassic Park der Autobranche, doch schließlich bauen sie hier ein Auto, das sich in fast einem halben Jahrhundert zumindest dem Wesen nach kaum verändert hat – und deshalb vielen als Saurier unter den SUV gilt.

Eine halbe Million

Immerhin liefen mittlerweile fast 500.000 Exemplare des Vierkants vom Band, weshalb ihn Mercedes mit dem Slogan „Stronger Than Time“ rühmt. Doch nur, weil die G-Klasse noch immer fast genauso so aussieht, wie beim Debüt vor 44 Jahren, ist sie nicht immun gegen den Zeitgeist.

Deshalb ist er vom hartgesottenen Armee-Arbeiter längst zum Lifestyle-Objekt und zum meist verkauften AMG-Modell geworden. Und jetzt proben sie es in Graz mit der Quadratur des Kreises oder in diesem Fall wohl besser: die Kreisatur des Quadrates – und machen den G zum Elektroauto.

Mit dem EQG will Mercedes zu Schätzpreisen knapp unter 200.000 Euro vom nächsten Jahr an beweisen, dass die G-Klasse selbst die elektrische Revolution überstehen und mit Akku-Antrieb genauso gut fahren kann, wie mit einem Achtzylinder. „Oder vielleicht sogar besser“, sagt G-Klasse-Chef Emmerich Schiller und bittet zur exklusiven Mitfahrt im Prototyp.

Leiterrahmen statt Skateboard

Dessen Technik ist extrem komplex. Denn anders als die übrigen EQ-Modelle nutzt der EQG nicht einfach ein bestehende Skateboard-Plattform, sondern bekommt eine maßgeschneiderte Elektroarchitektur, die im unverzichtbaren Leiterrahmen des Hardcore-Geländewagens integriert ist. Weil eine G-Klasse ohne Sperren keine G-Klasse ist, haben die Ingenieure dieses Konzept ins Elektrozeitalter übertragen und jedem Rad einen eigenen, individuell steuerbaren Motor spendiert und dafür – eine weitere Unumgänglichkeit beim G – eine neue Starrachse ins Heck geschraubt.

Weil sich die E-Motoren bei niedrigen Drehzahlen nicht so richtig wohlfühlen, hat Schillers Truppe ein Untersetzungsgetriebe mit einem zweiten Gang für niedrige Geschwindigkeiten eingebaut. So drehen die Motoren im Kriechgang höher, erhitzen sich langsamer und können zudem mehr Rekuperieren. Kein Wunder also, dass sich die Berg- und Tal-Fahrt am Fuß des legendären Hausbergs Schöckl kaum auf die Reichweite auswirkt.

WLTP-Reichweite von über 450 Kilometern denkbar

Apropos Reichweite: So viel Schiller über das Wesen der G-Klasse und das Werden des EQG philosophiert, so dünn werden seine Lippen, wenn es um konkrete Daten geht. Aber wenn er wirklich zwei volle Tage durch hartes Gelände pflügen kann und dann immer noch über ein Drittel Saft im Akku hat, dann wird er gut und gerne mehr als 100 kWh installiert haben. Auch deshalb ringen ihm die rund 450 Kilometer Minimalreichweite, die seine Kollegen in Stuttgart gerade für das EQE SUV vermeldet haben, keinen sonderlich großen Respekt ab – selbst wenn der neben dem EQG aussieht wie ein abgegriffenes Stück Hotelseife neben einem frischen Block Kernseife.

Technische Daten Mercedes-Benz EQG
Batterie: > 100 kWh
Reichweite (WLTP): > 450 km
Leistung: > 700 kW
Drehmoment: ca. 1.000 Nm
0–100 km/h: ca. 4,5 s
Preis: ca. 200.000 €
Verfügbarkeit: Verkaufsstart Mitte 2024
Alle Daten geschätzt von Elektroautomobil

Und wenn man erlebt, mit welcher Urgewalt sich die gut und gerne drei Tonnen Stahl und Lithium-Ionen beim Knickdown dem Horizont entgegen schleudern, dann sollte AMG-Kunden Angst und Bange werden. Ganz ohne Spektakel stiehlt der EQG dem G63 die Schau und hält bei dessen 4,5 Sekunden von 0 auf 100 augenscheinlich locker mit. Nur einen Top-Speed jenseits von 200 km/h mag man dem Koloss kaum zutrauen.

Dass es dafür viel Leistung braucht, verhehlt Schiller nicht. Schließlich ist schon ein Motor allein stark genug, um den EQG einem 80 Prozent steilen Hang hinauf zu schleifen. Und es gibt vier davon! Ohne dass er Details nennen würde, liegt man deshalb wohl mit einer Systemleistung hart an der Grenze von über 700 kW und mit einem deutlich vierstelligen Drehmoment nicht schlecht.

Im Kriechgang durchs Gelände

Aber Zahlen vermögen ohnehin kaum auszudrücken, was man mit dem elektrischen G erleben kann. Erst recht nicht im Gelände. Denn vollkommen mühelos und wie von Zauberhand klettert der Koloss über Stock und Stein und wuchtet sich Steigungen hinauf, bei denen selbst Reinhold Messner die Puste ausgehen würde. Nur, um sich gleich danach gebremst alleine von der Rekuperationsleistung der E-Maschinen wieder Hänge hinunter zu stürzen, an denen der König der Achttausender zu Seil und Haken greifen würde.

Ja, das alles kann die G-Klasse auch. Aber wo die dafür weithin hörbar arbeiten muss, laut aufbrüllt und bisweilen bis in die Grundfesten ihres Leiterrahmens zu vibrieren beginnt, zelebriert der EQG den Kraftakt ganz unaufgeregt und ohne Vorwarnung und nimmt dem Fahrer dabei auch noch das letzte bisschen Arbeit und Entscheidungsbedarf ab. Denn wer sich im Gelände unsicher ist, der aktiviert einfach den „Creepmode“ und rollt wie mit einem Tempomat im Kriechgang durchs Abenteuer. Dass die Amerikaner das als „creepy“ deuten, ist zwar nicht beabsichtigt, passt aber dafür um so besser. Denn es ist wahrlich „beängstigend“, was der elektrische G alles bewältigt.

Mercedes-Benz Concept EQG (2021)

Geländeeigenschaften wie beim Ur-G

Doch noch ein paar harte Fakten: Die geometrischen Offroad-Eigenschaften sind dabei nicht schlechter als bei jeder anderen Variante, verspricht Jurassic Park-Chef Schiller. Schließlich ist das G im Typenkürzel den Entwicklern eine heilige Verpflichtung. Deshalb watet auch der elektrische G bis zur Zierleiste durchs Wasser, er hat die gleichen Böschungs- und Rampenwinkel, und als er beim Kiesgruben-Ballett mit aller Wucht auf einen riesigen Stein stürzt, verzieht Schiller keine Miene – obwohl die Batterie im Bauch stoßempfindlich ist und solche Aktionen bei den allermeisten anderen E-Autos buchstäblich brandgefährlich wären. Doch beim G haben sie wie am Bauch einer Schildkröte einen unter anderem aus Carbon-gebackenem Panzer von bald vier Zentimetern Dicke installiert, der solche Stöße sicher pariert.

Es gibt sogar eine Disziplin, in der die elektrische G-Klasse der normalen überlegen ist: Weil der Akku den Schwerpunkt senkt, kann sich der EQG noch zehn Grad weiter zur Seite lehnen, sagt Schiller, steuert längs über eine Rampe und geht auf Kuschelkurs. Bei bald 40 Grad garantieren jetzt nur noch die straffen Gurte eine sittliche Distanz und verhindern, dass der Sozius dem Fahrer auf den Schoss rutscht.

G-Turn: 360-Grad-Wende

Und wenn man denkt, jetzt hat man alles erlebt, was man mit einem elektrischen Geländewagen erleben kann, dann hält Schiller noch einmal an, drückt dort, wo sonst die Sperren aktiviert werden, einen silbernen Taster, zieht an der Wippe am Lenkrad, startet den „G-Turn“ und macht den EQG zum Karussell für ganz große Kinder: Ohne Lenkeinschlag und nur mit der Kraft der gegenläufig drehenden Reifen macht die G-Klasse eine Panzerkehre und kreiselt auf der Stelle, während draußen der Schotter spritzt und eine Staubwolke aufsteigt. Im Alltag völlig sinnlos, aber spektakulär – und für Conti & Co. ein Fest.

Denn wer das nicht auf Sand oder Schnee macht, sondern auf der Straße, der brennt die größten Donuts auf den Asphalt und kann die fetten Schlappen für die 22-Zöller gleich im Abo ordern. Und der G-Turn ist nicht einmal alles. Daneben gibt’s einen zweiten Schalter, den Schiller noch sorgsam abgeklebt hat, weil er sich den größten Clou zum Schluss aufheben will: „Lass dich überraschen,“ zitiert er mit leichtem Singsang und holländischem Einschlag die TV-Legende Rudi Carrell.

Fazit: Auch mit E-Antrieb ein echter G

Im Gelände besser als je zuvor und dabei noch leichter zu handhaben, politisch, nun ja, nicht mehr ganz so inkorrekt, und mit Funktionen wie den G-Turn der absolute Showstar auf dem Kiez und in der Kiesgrube: Zwar wird die G-Klasse als EQG so zum ultimativen E-SUV und hat das Zeug für die nächsten 500.000 Exemplare. Doch ist sie deshalb nicht notgedrungen nur ein weiteres Elektroauto. Stattdessen hat Schillers Team Wert darauf gelegt, dass der EQG eben kein Stromer mit erweiterten Geländeeigenschaften – wie ein EQE oder ein EQC – sondern eine G-Klasse mit E-Antrieb ist. Das Urgestein bleibt sich und seinem Charakter treu.

Fotos: Mercedes-Benz

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