Weltpremiere: Jaguar Concept Type 00

03.12.2024 von Thomas Geiger

Radikaler Neustart

Jaguar erfindet sich neu und bricht mit alten Konventionen. Der Marken-Relaunch wird von der Design-Studie Type 00 angeführt. EAM-Redakteur Thomas Geiger konnte sich den ersten Ausblick auf Jaguars elektrische Zukunft bereits aus der Nähe anschauen.

Miami Pink statt British Racing Green, eine rosa eingefärbte Mondlandschaft als Hintergrund für die Studio-Fotos und die Publikumspremiere auf eine Kunstmesse statt einer Motorshow – Jaguar erfindet sich neu und will (wieder) zur Avantgarde unter den Automobilherstellern aufsteigen – genau wie damals in den 1960ern, als die Welt für den E-Type den Atem angehalten und selbst Konkurrent Enzo Ferrari vom „schönsten Sportwagen aller Zeiten“ geschwärmt hat.

Komplett-Neustart einer Traditionsmarke

Wo sich andere Hersteller in der Krise gerne auf ihre alten Werte besinnen, wirft Jaguar auf dem Weg in eine bessere und natürlich elektrische Zukunft nach Jahren des Wachkomas neben dem Verbrenner aber gleich auch noch alle Traditionen über Bord. Klar, Design und Dynamik sollen auch weiterhin die Kernmarkmale der Marke bleiben und die Idee, etwas ganz Neues zu machen und mit allen Konventionen zu brechen, ihr Antrieb sein. Doch statt Good Old England gibt es künftig Cool Britannia und allen recht machen wollen sie es auch nicht mehr. Müssen sie auch nicht.

Denn von der Idee des Volumenherstellers hat sich Markenchef Rawdon Glover genauso verabschiedet wie von sechsstelligen Absatzzahlen und will lieber mit Klasse als mit Masse Kasse machen. Nachdem er aktuell ohnehin kaum mehr Aufträge schreibt, weil die Produktion der gesamten Palette weitgehend eingestellt ist und nur noch ein paar Restexemplare herumstehen, kann er es sich deshalb wohl auch leisten, ein paar weitere Kunden zu verschrecken.

Erste Jaguar-Neuheit seit sieben Jahren

Und das könnte durchaus passieren, wenn sie zum ersten Mal den Type 00 sehen, der jetzt in Miami als Markenbotschafter und Wegweiser enthüllt wurde. Selbst wenn das Auto dort auch in einem britischen Blau zu sehen sein wird. Der erste neue Jaguar seit dem seligen E-Pace vor 2017 ist zwar nur eine Studie, und Glover macht keinen Hehl daraus, dass sie so nie in Serie gehen wird. Doch weil sie eher Kunstwerk sein will als Kraftfahrzeug und weil Avantgarde gerne polarisiert, dürften sich an dem mehr als fünf Meter langen Zweisitzer die Geister scheiden.

Ja, mit Konventionen und Erwartungen brechen sie dabei ganz sicher. Denn dass heutzutage überhaupt noch jemand einen Sportwagen auf die Showbühne schiebt, ist in Zeiten der SUV-Schwemme schon ungewöhnlich genug. Und dass sich jemand in der Ära handlicher Elektromotoren eine Haube leistet, die lang genug wäre für einen Zwölf- oder gar Sechzehnzylinder, ist fast schon bewundernswert trotzig und ein Ausdruck luxuriöser Opulenz.

Doch das Gesicht mit LED-Schlitzen und einem kantigen Streifengitter anstelle des Grills ist mehr als gewöhnungsbedürftig. Erst recht, weil, man vorne kein Jaguar-Logo mehr sieht und das gleiche Element – wieder ohne „Leaper“ – am scheibenlosen Heck noch einmal auftaucht. Und mindestens genauso sehr, wie zumindest die Silhouette vielleicht noch an den E-Type erinnern mag, weckt das Zierstück zwischen Vorderrad und Tür Erinnerungen an den aktuellen Range Rover und entlarvt damit das zum Markengesetz erhobene Mantra „Copy nothing“ gleich mal als Marketing-Phrase.

Jaguar lebt das Digital Detox

Aber zumindest sind sie ansonsten konsequent mit dem Bruch der Konventionen: Denn wenn die riesigen Türen, natürlich elektrisch, aufschwingen, sieht man Wolle, Naturstein und patiniertes Messing. Den Trend zum digitalen Budenzauber machen die Briten nicht mit. Wo sonst gerne riesige Bildschirme die Konsolen pflastern, verschwinden die Displays bei Jaguar in den Tiefen der Armaturentafel und kommen nur auf Kommando hervor. Und statt digitaler Avatare gibt es kunstvolle Handschmeichler aus Messing, Travertin und Alabaster, die in einer speziellen Konsole abgelegt werden und dann den Charakter des Wagens prägen sollen.

Zwar haben sie mit der Studie und zuvor schon mit der vermeintlichen Neuerfindung ihrer selbst endlich mal wieder gebührend Aufmerksamkeit erregt. Aber der Schritt ist gewagt, und alles was die Briten vor der Premiere zur neuen Markenstrategie verlauten lassen, wurde im höflichsten Fall eher belächelt als bewundert. Oft genug haben die grellen Farbwelten, der neue Schriftzug und das Monogramm, das wie die Signatur eines Künstlers am Auto prangt, und der je nach Perspektive avantgardistische oder verkünstelte Ansatz Kopfschütteln ausgelöst.

Jaguars letzte Chance

Doch die Neuerfindung er ist die wahrscheinlich einzige und ganz sicher letzte Chance, die den Briten noch bleibt. Denn nachdem Jaguar mit dem I-Pace 2018 ganz vorne dabei war bei der elektrischen Revolution, hat die Raubkatze an Biss verloren und ist zum trägen Kater geworden, der kraftlos in der hintersten Ecke des Oberhauses herumlungert. Und auch konventionelle Neuheiten konnten ihm nicht wirklich wieder auf die Sprünge helfen.

Viertürer-GT kommt erst 2026

Und so ganz schnell wird die Dursttrecke auch noch nicht vorbei sein. Zwar gehen rund um Gaydon jetzt die ersten Prototypen auf Testfahrt. Doch bis das erste neue Serienmodell gezeigt wird, dauert es noch bis Ende nächsten Jahres und in den Handel kommt es frühestens Mitte 2026.

Die Produktphilosophie ist zwar dieselbe und Jaguar will den gleichen Wow-Effekt erzielen wie damals mit dem E-Type. Aber aus dem spektakulären Sportwagen von Miami wird dann erst einmal ein viertüriger Gran Turismo. Doch weil Jaguar künftig eine neue Architektur mit 800-Volt-Technik nutzt, verspricht der Hersteller Eckdaten, die auch in 18 Monaten noch überdurchschnittlich gut sein sollen: Fast 800 Kilometer Reichweite zum Beispiel und das Nachladen von über 300 Kilometer in nur 15 Minuten.

Stärkster Jaguar aller Zeiten

Und auch Leistung wird es „satt“ geben. Zwar nennt Glover noch keine Zahlen, stellt aber mehr Kilowatt in Aussicht, als bei jedem Jaguar zuvor. „Denn Jaguar stand und steht nicht nur für ein Design von provozierender Avantgarde, sondern auch für Dynamik“, sagt der Markenchef: „Und das wird auch in Zukunft so sein: Das neue Modell wird deshalb das stärkste, das wir bis dato gebaut haben.“

Die Positionierung dafür ist völlig neu: Jaguar will nicht mehr mit Audi, BMW, Mercedes & Co. konkurrieren, sondern schielt auf Bentley und Rolls-Royce (mehr erfahren: Fahrbericht Rolls-Royce Spectre). Statt unter 50.000 Euro wie beim E-Pace werden die Preise künftig wohl bei über 150.000 Euro beginnen. Und nur, weil es bis dahin bei Aston Martin, Bentley oder Maybach keinen elektrischen Reisewagen gibt, müssen wohl oder übel Autos wie der Porsche Taycan oder der Lucid Air als Referenz für den neuen Jaguar herhalten.

GT, SUV, Sportwagen: elektrisches Jaguar-Trio geplant

Aber bei aller Exklusivität weiß auch Glover, dass ein Modell alleine ihn nicht weit bringen wird. Deshalb plant er in schneller Folge mit zwei weiteren Neuheiten. Als nächstes kommt dann wohl – von wegen unerwartet! – das unvermeidbare SUV oder Crossover und danach könnte tatsächlich ein Sportwagen starten. Freilich nur, wenn der Avantgarde-Plan aufgeht und die Kunden mitziehen. Dann wäre den Briten tatsächlich ein Kunstgriff gelungen. Ansonsten allerdings gilt für Jaguar, was für viele Avantgarde-Installationen gilt: Wenn es keine Kunst ist, dann kann es weg.

Fotos: Jaguar

  1. Erwin Nüsser sagt:

    Den I Pace als Zahnlose alte Katze zu bezeichnen ist ja wohl ´ne Frechheit. Klar , die Ladetechnik könnte schneller sein aber in Sachen Fahrdynamik und Fahrgefühl macht ihm so schnell keiner was vor. DIe meisten Fahrzeughersteller sind zu sehr auf autonome Fahreigenschaften fixiert und vergessen den Fahrer der sich über mehr Rückmeldung von Lenkung und Bremspedal freuen würde. Der I Pace ist ein zukünftiger Klassiker und noch ein Auto für Menschen die gerne fahren und trotzdem emissionsfrei fahren möchten.

  2. Ully E sagt:

    Mir gefällt die Studie. Ich werde zwar weder ein- noch aussteigen können, so flach sieht die Flunder aus, doch formal finde ich, geht es in die absolut richtige Richtung. Eigenständig, sehr dynamisch, mutig, und perfekt als optischer Gegenspieler zu allen Fahrzeugen des Mainstreams. Eben Jaguar next Level. Kein Facelift!

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