VW ID.R am Tianmen Mountain

06.09.2019 von Redaktion Elektroautomobil

Der Pikes Peak war nur der Anfang: Seit einem Jahr stürmt der elektrische VW ID.R von einem Gipfel zum nächsten. Jetzt hat er in China das Tor zum Himmel erklommen – und dabei natürlich wieder eine Bestzeit aufgestellt.

Er hat Le Mans gewonnen, den Pikes Peak in Rekordzeit erklommen und kennt den Nürburgring wie seine Westentasche – doch eine Straße wie diese hat Romain Dumas in seinem Leben noch nicht gesehen. Der französische VW-Pilot steht am Fuß des Tianmen Mountain in Zhangjiajie 1.500 Kilometer südwestlich von Peking und zwischen ihm und dem Plateau unterhalb des 1.500 Meter hohen Gipfels liegt die Tianmen Shan Big Gate Road: 99 Kurven, die meisten davon Haarnadeln und Spitzkehren, über zehn Prozent Steigung und 1.100 Höhenmeter machen die knapp elf Kilometer lange Beton-Bahn zu einer der spektakulärsten Straßen der Welt. Und da also soll Dumas jetzt mit dem VW ID.R hinauf jagen? Ein Jahr nach dem spektakulären Sieg am Pikes Peak und wenige Wochen nach der elektrischen Bestzeit auf dem Nürburgring wollen die Niedersachsen nun auch in China beweisen, wie sportlich ein Elektroauto sein kann und schicken ihren 680 PS starken Flügelstürmer deshalb auf den Höllenritt zum Himmelstor.

Damit will sich nicht nur das Motorsportteam eine weitere Medaille an die Brust heften und eine der vielen Herausforderungen abarbeiten, die es für den ID.R auf einer internen, streng geheimen Liste hat. Vor allem geht es den Niedersachsen darum, mit dem Rekordrenner Reklame für ihre E-Offensive zu machen, mit der sie – mal wieder – ein bisschen hinten dran sind. „Wir kommen spät“, räumt China-Chef Stephan Wöllmann deshalb auch ein. „Aber wir kommen gewaltig“, sagt der VW-Statthalter und verspricht eine ganze Flut elektrischer Neuheiten aus China für China: „Nächstes Jahr im Herbst geht es mit dem ersten lokalen ID los und danach folgen bis zu zehn Modelle von der Limousine bis zum SUV.“

Für diese Aufgabe hätten sie sich keine bessere Strecke aussuchen können. Denn erstens hat der Berg mit dem charakteristischen Durchbruch in der fast senkrechten Wand als „Tor zum Himmel“ eine mystische Bedeutung. Und zweitens rangiert die erst 2006 nach acht Jahren Bauzeit eröffnete Straße hinauf in zahlreichen Rankings unter den spektakulärsten und gefährlichsten der Welt. Und dass sie eigentlich für den normalen Verkehr gesperrt ist und nur von hunderten grünen Kleinbussen im besseren Schritttempo befahren wird, steigert den Reiz nur.

„Die Herausforderung ist riesig“, sagt Dumas deshalb. Klar kennt er die Passstraßen in den Seealpen oder den Dolomiten, und der Pikes Peak war auch nicht ohne. „Aber 99 so scharfe Kurven auf elf Kilometern gibt es sonst wohl nirgends auf der Welt.“ Viele davon sind so eng, dass der mehr als zwei Meter breite ID.R. mit seinem vergleichsweise großen Wendekreis kaum ums Eck kommt. Und als wären so viele Kehren auf so einer kurzen Distanz nicht schon schwer genug, ist die Straße auch noch extrem ruppig, hat viele Bodenwellen und einen extrem rutschigen Betonbelag, durch den sich tiefe Fugen ziehen. Die Rekordfahrt ist deshalb ein Ritt aufs Messers Schneide: „Ich muss höllisch aufpassen, um den Wagen nicht zu verlieren.“

An die etwas mehr als 270 km/h, die Dumas bei seiner Rekordrunde auf dem Nürburgring draufhatte, ist hier am Tianmen Mountain deshalb nicht im Traum zu denken. Was ihm hier hilft, ist das irrwitzige Beschleunigungsvermögen der beiden E-Maschinen. Weil sie den Wagen in 2,2 Sekunden von 0 auf Tempo 100 schnellen lassen, erreicht er auf dem Zickzack-Kurs immerhin 230 km/h – selbst wenn zwischen den Kurven selten mehr als 100 Meter Gerade liegen. Wie schwer die Strecke ist, zeigt nicht zuletzt der Vergleich mit dem Gipfelsturm am Pikes Peak: Obwohl fast doppelt so lang und sogar mit 156 Kurven gespickt, hat Dumas dafür im letzten Sommer nur wenige Minuten mehr gebraucht.

Und als wäre die Topographie nicht schon schwer genug, hatte Dumas wenig Gelegenheiten zum Trainieren. Denn für die üblichen Testeinsätze ist die Region zu abgelegen, als dass man dort mal schnell hin jetten könnte. Zumal VW diesmal auf einen CO2-sparendene Transport gesetzt und das gesamte Equipment erstmals mit dem Zug über die Neue Seidenstraße nach China gekarrt hat. Und für die üblichen Runden im Rennsimulator fehlt die Software. „Bislang zumindest“, sagt Motorsport-Chef Sven Smeets. Denn kurz vor der China Challenge hat VW die elf Kilometer lange Strecke doch digitalisiert und wenn schon nicht in einer professionellen Simulation dann zumindest in ein Computerspiel für den chinesischen App Store integriert. Mit der Aufforderung, bei ihren virtuellen Rennen die Hürden für Dumas möglichst hoch zu legen, wurde das Spiel binnen zwei Wochen über 100.000 Mal geladen und fünf Millionen Mal gespielt. „Alle Fahrten zusammengenommen, kamen so bald 30 Jahre zusammen“, freut sich Smeets.

Und die Gamer hatten Erfolg: Denn wie gut die virtuellen Fahrer sind, zeigt sich spätestens dann, als Dumas nach einer Handvoll Trainingsläufe zum offiziellen Rekordlauf startet: Obwohl er den ID.R bis ans Limit pusht, die Kurven so eng nimmt, dass der Rennwagen innen bisweilen fast aufsetzt oder außen an den Betonblöcken hängen bleibt, die ihn vor dem Sturz in die Tiefe schützen sollen, zeigt die Uhr am Ende seiner Fahrt 7 Minuten, 38 Sekunden und 585 Tausendstel. Das sind zwar rund zwei Minuten weniger als der Range Rover Sport gebraucht hat, mit dem Land Rover hier vor ein paar Jahren schon einmal einen PR-Stunt gefahren und dabei gleich auch noch die 999 Stufen bis ganz hinauf zum Himmelstor genommen hat. Aber es ist auch über eine Minute mehr als beim schnellsten Gamer im Rennsimulator.

Mit einem virtuellen Gegner kann der Franzose aber gut leben. Und dass es keinen realen Gegner gab, stört ihn nicht im Geringsten. „Diese Fahrt gehört zu den Highlights meiner Karriere“, sagt der sichtlich erschöpfte PS-Profi, als er durch die Luke im Dach aus dem Auto klettert und nach der Beurkundung durch die beiden Notarinnen im Champagner duscht. Mit der Zeit sei er absolut zufrieden, gibt er zu Protokoll. Und Gastgeber Wöllmann ist sogar so berauscht vom Erfolg, dass er die Konkurrenz einlädt, sich an Dumas und seinem Auto zu messen. „Und falls uns jemand schlägt, bauen wir ein neues Auto und holen und den Rekord gerade wieder zurück”, sagt der China-Chef der Niedersachsen in seiner Euphorie.

Was sie angesichts der angespannten Kassenlage in Wolfsburg davon halten, mag hier am Berg keiner beurteilen. Aber Dumas wäre dazu sicher bereit, und viel ändern müsste man am Auto seinetwegen nicht. Nur einen Wunsch hätte er an seine Techniker: „Das nächste Mal baut mir doch bitte eine Handbremse ein, damit ich schneller um die Kurven komme.“

VW ID.R am Tiamen Mountain

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