Porsche Taycan 4S im Track-Check

01.02.2021 von Marcus Zacher

Muss es immer der Turbo sein?

Burgkirchen in Österreich, nahe der deutschen Grenze zwischen Passau und Salzburg. Ein gutes Dutzend der flachen, breiten Elektrosportler der Zuffenhausener Traditionsmarke steht ordentlich aufgereiht auf dem kühlen Asphalt. Es ist ein frischer Spätsommermorgen und noch wabern Nebelschwaden um die Test- und Übungsstrecke der „Fahrwelt“.

Auf abgesperrtem Gelände darf ich mich von den fahrdynamischen Qualitäten des Porsche Taycan 4S überzeugen. Nicht, dass ich diese jemals angezweifelt hätte. Bereits bei unserem – nicht ganz bierernst gemeintem – Vergleichstest zwischen Taycan Turbo und Tesla Model 3 Performance wusste der Taycan zu begeistern (siehe EAM 02/2020). Doch auf abgesperrtem Gelände lässt sich die Arbeit der Weissacher Fahrwerks- und Lenkungsentwickler noch einmal auf intensivere und auch sicherere Art und Weise ausloten.

Matthias ist mein Instruktor und erläutert mir, wie man den perfekt austarierten und mit dem niedrigsten Schwerpunkt aller Porsche-Modelle gesegneten Taycan auf rutschigem Fahrbahnbelag gezielt querstellt. Eines der größten Vorteile eines modernen Elektroallradantriebs ist schließlich die blitzschnelle Regelung des selbigen, die das Ausbrechen ja eigentlich unterbinden soll. Um den Porsche aus der Ruhe zu bringen, benötigt man deshalb mindestens den Sportmodus, flinke Hände – und einen guten Instruktor.

Zunächst noch etwas zaghaft taste ich mich an den Grenzbereich des Fahrzeugs heran. Die spiegelglatte Übungsfläche senkt das benötigte Tempo stark ab, bei dem man den Taycan in den kontrollierten Drift zwingen kann. Mangels Feingefühl im Fahrpedal mutieren die ersten Runden zur reinen Untersteuerpartie. Doch Übung macht bekanntlich Meister und so werden die Kreise von Runde zu Runde sauberer, bis mir am Ende akzeptable Drifts gelingen. Matthias scheint jedenfalls zufrieden.

Der goldene Mittelweg?

Als Untersatz dient mir ein Porsche Taycan 4S, die mittlere Ausbaustufe des Elektrosportlers. 420 Kilowatt leistet die froschgrüne Flunder mit der „großen“ Batterie. Zwar fehlen meinem Exemplar ein paar Goodies, wie die Performance-Bereifung oder die Keramikbremse, doch dafür ist er mit 464 WLTP-Kilometern eine der reichweitenstärksten Taycanvarianten.

Bei der nächsten Übung geht es abermals um blitzschnelle Reaktionen. Mit von Durchlauf zu Durchlauf steigender Endgeschwindigkeit soll ich auf ein Hindernis beschleunigen, um dann voll in die Eisen zu gehen und letztlich einer imaginären Wildsau auszuweichen. Die serienmäßige Stahlbremse bleibt bei den wiederholten Manövern freilich unbeeindruckt. Da man seinem Taycan im Alltag selten ähnliche Belastungen zumuten dürfte, degradiert das die optionale und sündhaft teure Keramikbremse zu einem zwar statusträchtigem, aber ehrlicherweise auch verzichtbaren Extra.

Auf dem Rückweg des Ausweichparcours darf ich jedes Mal die Launch-Control des Taycan austesten. Die Porsche-Entwickler betonen gerne und mit Stolz, dass der Taycan zig Mal ohne nachlassende Leistung den Sprint auf 100 oder gar 200 km/h bewältigen kann. Auf der kurzen Teststrecke ist bei etwas über 100 km/h Schluss, bevor ich den Anker werfen muss. Laut Datenblatt soll der Standardsprint in exakt vier Sekunden abgehakt sein und es gibt auch keinen Grund, dies in Zweifel zu ziehen. Und ja, auch nach dem x-ten Rennstart zeigt der Taycan keine Ermüdungserscheinungen. Die Endgeschwindigkeit ist beim vorgegebenen Bremspunkt jedes Mal identisch.

Klar, für den Alltag hat dieser Use-Case ungefähr so viel Relevanz wie die Frage nach der Nordschleifenzeit eines mit Ikea-Möbeln vollbeladenen Transporters. Dennoch wird es den einen oder anderen Taycan-Fahrer beruhigen, dass er eben könnte, wenn er müsste.

Als dritte Übung wartet ein Slalomparcours darauf von den inzwischen warmgefahrenen Pneus erobert zu werden. Matthias erläutert mir, wie man sich der Strecke nähert, um sie so schnell und präzise wie möglich zu durcheilen. Anbremsen, links einlenken, beschleunigen, anbremsen, rechts einlenken, beschleunigen. Die Kunst ist es, den Rhythmus dieser Handlungsabfolge mit dem Erscheinen der nächsten Pylone zu synchronisieren. Der enge Parcours und die enorme Beschleunigung selbst bei nur kurzen Fahrpedalstupsern bringen meine Reaktionsfähigkeit an ihre Grenzen. Trotzdem darf ich mir nach ein paar Runden sogar ein Lob abholen und Matthias gibt mir, quasi zur Belohnung, noch ein paar Geheimnisse für den perfekten Kurventanz mit auf den Weg.

Einer zum Preis von zweien: Vergleich mit dem Topmodell

Autowechsel. Nun sitze ich im Porsche Taycan Turbo S. 560 Kilowatt. 1.050 Newtonmeter. Mit dem Spitzenmodell darf ich noch ein wenig das Hinterland erkunden und für mich die Frage klären, ob der Turbo S die rund 70.000 Euro Aufpreis zum 4S wert ist. Doch bevor ich die Leistung der beiden E-Maschinen auch nur ansatzweise auskosten kann, geht es zunächst einmal im Bummeltempo über die Bundestraßen Österreichs. Hier zeigt sich, dass selbst der stärkste Taycan dank der konfigurierbaren Fahrmodi die komfortable Reiselimousine mimen kann. Oder sagen wir Sportreiselimousine. Auf den schnurrgeraden Strecken und entlang der Ortsdurchfahrten langweilt sich der Turbo S jedenfalls.

Bekanntermaßen kommt mit den Kurven der Fahrspaß und so biege ich kurzerhand von der zwar kürzesten, aber eben auch unspektakulärsten Routenführung ab und begebe mich auf die Suche nach Streckenabschnitten, in denen das Verhältnis aus der Anzahl der Kurven und der Anzahl der Autos entgegengesetzt proportional verläuft. Hier darf der Porsche zeigen, was in ihm steckt. Selbst bei den anspruchsvollsten Biegungen liegt der Turbo S erwartungsgemäß wie das sprichwörtliche Brett und beschleunigt wie ein Berserker auf die Nächste zu. Doch in den Grenzen des auf einer öffentlichen Straße sinnvoll Erfahrbaren lassen sich die Unterschiede zwischen Top- und Basismodell kaum herausfahren.

Porsche Taycan Turbo S

Wer die Leistungsfähigkeit des Turbo S vollends genießen möchte, sollte besser Stammkunde bei einer Rennstrecke werden. Die engen Kurvenradien handelsüblicher Landstraßen lassen sich auch mit dem 4S genießen, der ebenfalls genug Schub entwickelt, um den Fahrer im Düsenjet zu wähnen. Seien wir ehrlich: Den Turbo oder gar den Turbo S braucht es im Alltag nicht. Der 4S tut’s auch. In vielerlei Hinsicht. Die Differenz im Gegenwert eines Audi e-tron spart man sich ebenfalls. Falls man mal zu Ikea muss.

Technische Daten
Fahrzeugbezeichnung: Porsche Taycan 4S+
Fahrzeugbeschreibung: viertürige Oberklasse-Sportlimousine
ANTRIEB
Bauart: je 1 permanenterregte Synchronmaschine an VA und HA
Leistung: 420 kW
max. Drehmoment: 650 Nm
BATTERIE & LADESTANDARD
Energieinhalt (brutto/netto): 93,4 kWh/83,7 kWh
Batterieaufbau: 396 Pouch-Zellen in 33 Zellmodulen, jeweils in 2p6s, Batterie in 2p198s, Zellkapazität: 64,5 Ah
Wärmemanagement: Flüssig-Thermalmanagement
Batteriegarantie: 8 Jahre oder 160.000 km (SoH >70 %)
Ladestandard AC: Typ 2 11 kW 3p (opt. 22 kW 3p)
Ladestandard DC: CCS 270 kW
Ladezeit AC 11-kW-Ladestation 0-100 %: ca. 9 h
Ladezeit DC 50-kW-Ladestation 5-80 %: 1 h 33 min
Ladezeit DC 150-kW-Ladestation 5-80 %: ca. 30 min
Ladezeit DC 350-kW-Ladestation 5-80 %: 22,5 min
FAHRLEISTUNGEN
Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h
Beschleunigung (0-100 km/h): 4,0 s
Beschleunigung (0-200 km/h): 12,9 s
REICHWEITE & VERBRAUCH
NEFZ: N/A
EPA: 326 km
WLTP: 389-464 km
Verbrauch (WLTP): 26,0–21,9 kWh/100 km
ABMESSUNGEN & GEWICHT
Länge x Breite (ohne Spiegel) x Höhe: 4,963 m x 1,966 m x 1,379 m
Breite (mit Spiegel): 2,144 m
Radstand: 2,900 m
Luftwiderstandsfläche (cW x A): 0,513 m²
Luftwiderstandsbeiwert (cW): 0,22
Gepäckraum: 407 l
Frunk: 81 l
Leergewicht: 2.295 kg
Anhängelast (gebremst/ungebremst): -
PREIS
Deutschland: ab 112.008 €
Österreich: ab 116.757 €
  1. Norbert E. sagt:

    wirklich enttäuscht, dass Porsche ein Elektroauto baut, das für einen zusätzlichen preis von 100.000 euro fast das Modelljahr 2015 Tesla erreicht … 2021 modell Tesla macht den taycan dann hauptsächlich zu einem lächerlichen ”Sport”wagen

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