Mobilität der Zukunft: Mutige Gestalter gefordert

14.02.2019 von Redaktion Elektroautomobil

Hamburg, Frankfurt, Stuttgart, zuletzt Berlin sind die prominenten Beispiele deutscher Städte, in denen Verbotszonen für den Diesel bereits existieren oder in naher Zukunft eingeführt werden. Das setzt die Diskussion über die urbane Mobilität ganz oben auf die Tagesordnung. Auch über die deutschen Landesgrenzen hinaus lautet die erste Frage: Gehört dem Elektromotor die Zukunft? Dem Wasserstoffantrieb? Oder vielleicht doch den Verbrennern der neuesten Generation?

Durch den Fokus auf den Antrieb entsteht der Eindruck von Handeln bei gleichzeitiger Bewahrung des status quo. Das ist die Republik in Aspik. Die Verkehrswende gelingt auf diesem Wege nicht. Der urbane Raum – am stärksten betroffen von Luftverschmutzung, verstopften Straßen, Unfällen und Lärmbelästigung – besteht nun mal nicht nur aus dem Auto. Andere Variablen spielen hier eine mindestens ebenbürtige Rolle. Der öffentliche Nahverkehr. Oder die städtische Infrastruktur. Nicht zuletzt menschliche Bedürfnisse wie Lebensqualität, Bequemlichkeit und Komfort.

In diesen Bereichen liegt das Potential, die Mobilität der Zukunft voranzutreiben. Gerade die Städte besitzen de facto einen weitreichenden Gestaltungsspielraum – schließlich lebt hier die Mehrheit der Menschen –, nutzen diesen aber nicht. Stattdessen schieben sie die Verantwortung den Gerichten zu. Diese beschließen vielleicht das ein oder andere Fahrverbot; aber entwickeln garantiert kein Konzept für den Verkehr von morgen. Das ist nun wahrlich auch nicht die Aufgabe der Judikative.

Die Leiden des öffentlichen Nahverkehrs

Gerade der eingangs erwähnte öffentliche Nahverkehr wird für die Mobilität der Zukunft immer wichtiger. Wurde er in den letzten Jahrzehnten auf Verschleiß gefahren, hat die Politik Bus und Bahn nun als Mittel im Kampf gegen die Luftverschmutzung ausgemacht. Die simple Grundidee geht in die richtige Richtung: Nutzen mehr Menschen gemeinschaftliche Angebote, fahren weniger selber Auto. Dabei ist der Preis nicht der Stellhebel – Auto fahren ist schon heute teurer. Faktoren wie Flexibilität, Usability, Simplizität, Verlässlichkeit oder Komfort sind dem Faktor Preis mindestens ebenbürtig.

Die drei Problemfelder: Flexibilität, Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit.

Ein geeignetes Mittel, um die Flexibilität des ÖPNV zu steigern, ist die on-demand Mobilität. Der Status Quo: Der Kunde muss irgendwie zum Nahverkehr. Ganz egal ob zur Bushaltestelle, zum Bahnhof oder zur Tram-Station. On-demand Mobilität dreht dieses Prinzip um 180 Grad und bringt den Nahverkehr zum Kunden. Auf diese Weise werden Lücken im Netz geschlossen; ob das nun die Distanz von der Haustür zur nächsten Haltestelle ist, oder die Randzeiten, in denen die Taktung in der Regel geringer ist. Außerdem muss der Nahverkehr priorisiert werden, um dessen Geschwindigkeit und Attraktivität zu steigern. Ein besonders probates wie einfaches Mittel sind abgetrennte, separate Busspuren – kennzeichnend für Bus Rapid Transit-Systeme (BRT).

Manchmal sieht man den Pkw vor lauter Lieferwagen nicht

Aber auch der B2C-Lieferverkehr hat sich mit Beginn des Onlinehandels vervielfacht, das bestätigt eine PwC-Studie. Die Zahl der Paketlieferungen hat sich seit der Jahrtausendwende verdoppelt. Der Lieferverkehr macht mittlerweile 20 bis 30 Prozent des Verkehrsvolumens in den Städten aus, sorgt für bis zu 80 Prozent der Staus in Stoßzeiten.

Die Elektrifizierung der Lieferflotten senkt nicht nur die Schadstoffemissionen, sondern kann durch zentrale Lagerorte einfach implementiert werden. Schließlich sind die Kurierfahrzeuge nicht dezentral über die Stadt verteilt; sie stehen auf Betriebshöfen. Wenn jeder Mensch sein Handy über Nacht laden kann, wieso können Unternehmen das gleiche nicht auch mit ihrem Lieferfahrzeug? Städte müssen hier Anreize setzen, Möglichmacher und Ideengeber sein, nicht Stolperstein.

Zudem werden mit City Hubs lokale (gegebenenfalls mobile) Distributionszentren installiert. Je nach Anforderungsprofil sind die Hubs große Zentren außerhalb der Stadtgrenzen, in welchen die eingehende Paketpost sortiert, vorbereitet und entsprechend effektiver in die jeweiligen Bezirke verteilt werden. Bei anderen Hubs handelt es sich um kleine Anlagen innerhalb der jeweiligen Bezirke, in denen die Güter zentral angeliefert und anschließend sortiert und verteilt werden – idealerweise per Lastenfahrrad. Lastwagen und kleine Lieferfahrzeuge fahren dann lediglich die zentralen Hubs an und müssen nicht von Tür zu Tür ausliefern. Auf diese Weise könnte man vielen Paketwagen die Fahrt in die engen Straßen der Großstädte ersparen.

Aufgeladen – die Ladeinfrastruktur in den Städten

Inzwischen ist allen Experten klar, dass über kurz oder lang im urbanen Raum kein Weg mehr an der Elektrifizierung vorbei führt. Dafür müssen wir uns endlich an die eigentliche Herausforderung heranwagen: die Ladeinfrastruktur. Das Berliner Startup Ubitricity hat etwa die Lösung entwickelt, Straßenlaternen um Ladepunkte zu erweitern. Heute wird die Technik in London umgesetzt, nicht in der eigenen Stadt.

Smarte Infrastruktur für moderne Mobilität

Für eine Reduktion des Verkehrsaufkommens ist darüber hinaus eine intelligente Infrastruktur erforderlich. Ein typisches Beispiel dafür ist das preisgekrönte Projekt Copenhagen Connecting. Ein flächendeckendes WiFi-Netz, installiert in Straßenlaternen, sammelt in Echtzeit anonymisierte Bewegungsdaten von den verbundenen Geräten – Handys, Tablets, Autos, Busse und mehr. Anhand dieser Informationen konnten die Städteplaner den Verkehrsfluss optimieren und die Überlastung der Straßen deutlich reduzieren – die CO2-Emissionen sanken in Kopenhagen signifikant.

London, Kopenhagen und andere Städte zeigen, dass ein Wandel Realität sein kann, nicht auf Dauer als Utopie verweilen muss und das Städte an den entscheidenden Hebeln sitzen.

Die New Mobility World 2019
Nachdem 2018 auf der NMW insbesondere Logistik im Fokus stand, findet die NMW 2019 wieder im Rahmen der IAA Pkw statt. Mit über 250 teilnehmenden Unternehmen und Organisationen, 200 Rednern aus der ganzen Welt und über 250.000 Besuchern ist die NMW das weltweit führende Event zur Mobilität von morgen. Im Fokus stehen autonomes Fahren, Vernetzung, saubere wie nachhaltige Mobilität, urbane Mobilität und Mobilitätsdienstleistungen. Die Besucher sind branchenübergreifend Entscheider. Neben der Expo findet im Rahmen der NMW auch die offizielle IAA Conference statt. Aktuell läuft die Anmeldung zur Ausstellung und das Programming. Den Call for Papers finden Sie unter newmobility.world.

Von Dirk O. Evenson, Managing Partner evenson GmbH und Direktor New Mobility World

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