Hypercharge me!

01.09.2017 von Redaktion Elektroautomobil

Irgendwann wachen wir morgens auf und reiben uns verwundert die Augen: Scheinbar plötzlich hat sich die Mobilitätswelt gewandelt. Immer mehr batterieelektrische Autos fahren auf der Straße. Sie brauchen keine der zurzeit rund 14.000 Tankstellen mehr. Sie benötigen Ladeplätze. In der eigenen Garage ist das kein Problem. Da kann der Akku gemütlich über Nacht mit Wechselstrom gefüllt werden. Unterwegs aber, auf der Autobahn und überall sonst, wo viele Kilometer gefressen werden, muss die elektrische Energie so zügig wie möglich in die Batterie. Hier zählt Geschwindigkeit, denn die Zwangspause soll kurz sein. Das Motto: Schneller, bitte!

Um zu verstehen, was die Autohersteller von Tesla über Audi bis Porsche machen oder vorhaben, ist ein kurzer Ausflug in die Techniksprache notwendig: Entscheidend ist der Begriff der Ladeleistung in Kilowatt (kW). Die Haushaltssteckdose an der Wand des Zimmers, in dem Sie sitzen, schafft 2,4 kW – in einer Stunde wären also 2,4 Kilowattstunden (kWh) in der Batterie. Ein Opel Ampera-e mit einer Kapazität von 60 kWh bräuchte also … viel zu lang.

Um größere Entfernungen zu überwinden, hilft nur die Gleichstrom-Schnellladung. Und hier überbieten sich die Hersteller bei der Ladeleistung gegenseitig. Normale E-Autos wie ein NISSAN LEAF oder ein Volkswagen e-Golf schaffen 50 kW; unabhängig davon, ob sie den japanischen CHAdeMO-Standard oder den europäischen CCS als Stecker nutzen. Tesla wiederum hat bei den Superchargern (die verdienen ihren Namen) 120 kW verbaut und wird sich sukzessive auf 145 kW steigern. Audi wiederum macht den Anfang bei der zweiten Stufe von CCS mit 150-kW-Ladeleistung. Ein hochfrequentes Siiieep tönt aus den Säulen.

Anfang 2018 kommt die Serienversion des Audi e-tron quattro concept auf den Markt. Er wird auf der Autobahn rund 25 kWh pro 100 Kilometer verbrauchen. Kurz gerechnet: An einer 150-kW-Säule lädt er also in zehn Minuten Strom für 100 Kilometer. Damit reist man schon sehr praxisgerecht, wie die Teslas jeden Tag beweisen, wobei die Nutzer im Regelfall nur so viel nachladen, wie sie bis zum Ziel brauchen.

Das ist schön, es funktioniert, und dennoch bleibt die Frage im Raum, ob es nicht noch besser geht. Porsche sagt: Ja, wir verkürzen die Zwangspause nochmals und steigern die Ladeleistung weiter. 225 kW sind jetzt schon drin, heißt es aus Zuffenhausen. Das Ziel sind 350 kW – fast dreimal so viel wie an Teslas krassen Superchargern.

In der Branche wird darum bereits vom Hypercharging gesprochen. Aber wie geht das?
Porsche hat das bei der Studie Mission E gezeigt. Zurzeit arbeiten die meisten batterieelektrischen Autos mit einer Bordspannung von rund 400 Volt. Um bei gleicher Stromstärke eine höhere Leistung zu erreichen, ist der Mission E auf etwa 800 Volt ausgelegt. Ein darauf konstruierter Antriebsstrang hat leichtere Kupferkabel mit reduzierten Querschnitten und weniger Gewicht. Im Gegenzug müssen die internen Sicherheitsmaßnahmen verstärkt werden.

Auch auf der Infrastrukturseite wird der Aufwand größer. Wenn bis zu 350 Ampere fließen, müssen das Kabel und der Stecker gekühlt werden. Vielleicht mit Wasser, vielleicht mit Luft. Was tatsächlich in die Praxis umgesetzt wird, wissen wir wohl erst 2021. So lange dauert es, bis die ersten Säulen fürs Hypercharging aufgebaut werden.

Das Ziel ist letztlich, sich so weit wie möglich dem traditionellen Tanken von Benzin oder Diesel anzunähern. Eine Gleichstellung ist derzeit nicht absehbar. Die ist aber auch nicht zwingend notwendig, denn anders als Autos mit Verbrennungsmotor können E-Fahrzeuge zu Hause (oder auf dem Betriebshof, auf dem Supermarktparkplatz oder, oder, oder) ihre Energiespeicher auf 100 Prozent bringen. Es gibt also theoretisch Millionen von „Tank“-Stellen.

Ein begrenzender Faktor sind heute die Batterien. Sie können nicht mit beliebig viel Leistung geladen werden. Weil aber die Gesamtkapazität pro Auto permanent wächst, wird die einzelne Zelle weniger belastet – und das wiederum eröffnet Spielräume bei der Ladegeschwindigkeit.

Damit sind nicht alle Probleme gelöst. So ist zum Beispiel unklar, wer die hohen Infrastrukturkosten bezahlt. Berater vermuten, dass für einen Tesla Supercharger mit acht Ladepunkten zwischen 250.000 und 500.000 Euro vom Firmenkonto abgebucht werden. Und die Hypercharger werden noch teurer. Irgendwann ist ein Grenznutzen erreicht.

Vorstellbar ist auch, dass es auf langen Strecken und für große Fahrzeuge wie Familienvan oder Lkw doch eine Komplementärlösung zur Batterie gibt. Die von vielen totgesagte Brennstoffzelle könnte dann wichtig werden. Sie wird mit Wasserstoff betrieben, der wiederum in drei Minuten an einer Zapfsäule getankt wird; der Vorgang ist also „old-school“, das Fahren dagegen voll elektrisch.

Entscheidend bleibt die Erkenntnis, dass es technisch möglich ist, den rollenden Verkehr zu elektrifizieren. Wie genau das passiert, steht nicht fest. Es wäre langweilig, wenn wir die Zukunft schon im Detail kennen würden. Superschnelllader werden jedenfalls ein Teil dieser neuen Zeit sein. Der Verbrennungsmotor nicht. (Christoph M. Schwarzer)

  1. Naumann sagt:

    Super-Doppelschicht-Kondensatoren könnten statt Lithium-Akkus Abhilfe schaffen. Aber die Technik ist zu neu und viel zu lange werden diese Akkus halten. Also nicht profitabel!

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