Battery balancing

25.05.2017 von Redaktion Elektroautomobil

Nanu? Die Ladeanzeige verharrt schon länger bei 99 Prozent, das letzte Prozent scheint einfach nicht in den Akku hineinzuwollen. Stöpselt man das Auto vorzeitig ab und lässt es nach dem Laden eine Weile stehen, kann es sein, dass plötzlich nur noch 97 Prozent angezeigt werden. Diese Phänomene irritieren manch frischgebackenen Elektromobilpiloten – geht der Akku etwa nach wenigen Wochen oder Monaten Betrieb schon in die Knie?

Keine Sorge, es geht alles mit rechten Dingen zu. Um dies zu verstehen, muss man sich den Aufbau eines Automobilakkus näher anschauen. Dieser ist nämlich kein monolithischer Block, sondern besteht aus Hunderten oder gar Tausenden von Akkuzellen, die jeweils in Strängen hintereinander geschaltet sind. Mehrere solcher Stränge werden dann wiederum parallel geschaltet. Diese Kombination von Serien- und Parallelschaltung ist erforderlich, um die nötigen hohen Spannungen und Ströme für die Traktion eines Elektroautos zu erreichen.

Zum Beispiel enthält ein Tesla Model S insgesamt 7104 Zellen mit einer Zellspannung von (geladen) 4,208 V und einem Zellstrom von 13,4 A. Von diesen sind jeweils 96 in einem Strang in Serie geschaltet, die Strangspannung beträgt somit 404 V. Im gesamten Akkupack sind 74 solcher Stränge parallel geschaltet, wobei sich die Strangströme zu 990 A addieren.

Akkuzellen driften auseinander

Obwohl alle Akkuzellen theoretisch identisch sind, sind sie in der Praxis doch nicht exakt gleich, sondern es gibt – aufgrund von Fertigungstoleranzen oder chemischen Effekten – immer Zellen mit geringerer und solche mit höherer Kapazität. Auch die Selbstentladungsraten unterscheiden sich. Um ein Überladen einzelner Zellen – und damit eine mögliche Schädigung – zu vermeiden, bricht das Batteriemanagementsystem den Ladevorgang ab, wenn die schwächste Zelle in einem Strang „voll“ meldet, auch wenn andere Zellen mit höherer Kapazität noch aufnahmefähig wären. Umgekehrt verhindert das System ein weiteres Entladen des Akkus, sobald die schwächste Zellen an ihre (Tiefentladungs-)Grenze gelangt.

Diese Abweichung zwischen starken und schwachen Zellen – auch Zelldrift genannt – nimmt bei jedem Ladevorgang zu, sodass die nutzbare Gesamtkapazität des Akkus immer weiter abnimmt – obwohl sich der Akkuzustand in Wirklichkeit nicht verschlechtert hat. Um die verborgenen Reserven, also die noch nicht voll aufgeladenen Zellen, zu aktivieren, wird eine Ausgleichsregelung – üblicherweise als Battery Balancing bezeichnet – benötigt. Sie ist bei allen Automobil-Traktionsakkus Teil des Batteriemanagementsystems.

Die schwächste Zelle bestimmt die Gesamtkapazität

Der Balancing-Vorgang wird automatisch vom Batteriemanagementsystem ausgelöst, wenn die Zelldrift einen bestimmten Wert überschreitet. Dies geschieht entweder nach Abschluss des Ladevorgangs, wenn man den Ladestecker nicht sofort von der Ladesäule abzieht. Das letzte Prozent, das sich scheinbar so mühsam in den Akku hineinbewegen lässt, ist also in Wirklichkeit dem Balancing geschuldet. Der Ladevorgang wird so lange fortgesetzt, bis auch die schwächste Zelle im Akkupack ihre maximale Kapazität erreicht hat, ohne dabei die bereits vollen Zellen zu überladen.

Die schwachen Zellen, die es in jedem Akkupack gibt, werden durch das „Ausbalancieren“ natürlich nicht besser, aber zumindest wird jede Zelle nach ihren Möglichkeiten optimal geladen. Ohne Balancing würde die schwächste Zelle die Kapazität des gesamten Akkupacks bestimmen und so wertvolle Reichweite verschenkt.

Aktives und passives Balancing

Wie wird das Balancing technisch realisiert? Hierfür gibt es zwei Verfahren: Beim passiven Balancing wird der Ladestrom einer bereits vollen Zelle über einen parallel geschalteten Widerstand abgeleitet, also in Wärme umgewandelt. Die schwächeren Zellen, die in ihrem Ladezustand hinterherhinken, können also weiter geladen werden, ohne die bereits vollen Zellen zu überladen. Die beim passiven Balancing entstehenden Energieverluste sind laut Angabe von Automobilherstellern gering – Renault gibt beispielsweise einen Wert von 0,5 Prozent je Vollladung an.

Raffinierter ist die Funktionsweise des aktiven Balancing: Hierbei wird der überschüssige Strom einer guten Zelle nicht einfach „verbraten“, sondern aktiv zu den schlechteren Zellen umgeleitet, bis alle Zellen einen gleichmäßigen Ladezustand erreicht haben. Dies vermeidet Energieverluste und unerwünschte Wärmelasten im Akku. In den Modellen der hierzu befragten Hersteller (Tesla, BMW, Mercedes-Benz, Renault und Volkswagen) wird dieses technisch komplexere Verfahren trotz seiner Vorteile allerdings nicht angewandt, sondern ausschließlich mit passivem Balancing gearbeitet. Den Verzicht auf die aktive Technologie begründet BMW mit dem „geringen Balancing-Bedarf für die im BMW i3 eingesetzten Zellen“. Das passive Balancing sei daher hinsichtlich „Funktion, Qualität und Kosten das optimale Konzept“. Die aufwändigeren aktiven Systeme stellten „bei aktuellen Speichersystemen deshalb keine zielführende Option dar“.

Ihr Automobilhersteller rät:

Wie sollen sich Fahrer nun verhalten, um aus ihrem Akku die bestmögliche Leistung herauszuholen? Wir haben nachgelesen und nachgefragt:

  • Im Online-Forum von Tesla wird empfohlen, etwa alle drei Monate einen Balancing-Vorgang durchzuführen, also das Fahrzeug nicht vorzeitig von der Ladesäule zu trennen (allerdings wird im Interesse der Akkuschonung davon abgeraten, es dort stundenlang mit vollem Ladezustand „hängen zu lassen“). Tesla selbst empfiehlt, das Auto im täglichen Betrieb nur bis 80 Prozent aufzuladen. Offizielle Empfehlungen zum Thema Balancing gibt es jedoch nicht.
  • Auch BMW will seinen Kunden „keinerlei Empfehlungen zur Batterieschonung auferlegen“, denn diese wären „weder dem Premiumanspruch der Marke noch der generellen Vertrauensbildung in die Elektromobilität dienlich“. Das Batteriemanagement der Fahrzeuge sei entsprechend ausgelegt. Das Balancing finde kontinuierlich „in den Ruhepausen des Fahrzeuges“ statt.
  • Renault-Fahrer müssen sich um das Balancing ebenfalls keinerlei Gedanken machen, da es nach Angabe von Renault „automatisch während des Ladevorgangs oder der Fahrt“ erfolge. Außerdem werde der Akku am Ende eines jeden Ladevorgangs ausbalanciert.
  • Bei Elektromobilen von Mercedes-Benz wird das Balancing laut eigenen Angaben „selbstständig ab einer gewissen Streuung der Zellspannung“ ausgelöst, aber nicht unbedingt nach jedem Ladevorgang, sondern „unabhängig vom Ladezustand“. Auf die Akkulebensdauer habe das Balancing keinen Einfluss, da das Batteriemanagement ohnehin nicht den gesamten installierten Energieinhalt des Akkupacks nutze.
Fazit:

Egal welches Fabrikat man fährt, eigentlich muss man sich, so die Hersteller, um das Thema Battery Balancing keine Gedanken machen. Das Batteriemanagement vermeidet zuverlässig eine Überladung wie auch ein Tiefentladen einzelner Zellen und gleicht – über automatisch ausgelöste Balancing-Durchläufe – deren Ladezustand an. Allenfalls kann es vor einer längeren Fahrt sinnvoll sein, den Ladevorgang nicht vorzeitig abzubrechen, damit bei Bedarf ein Balancing durchgeführt wird, so die letzten Akkureserven ausgeschöpft werden. In diesem Fall ist also Geduld angesagt, bis auch das letzte Prozent „drin“ ist.

  1. Dafi sagt:

    Schön beschrieben, schade das es allem Anschein nach so wenige für erachtenswert sehen, mit den Rohstofffn sorgsam um zu gehen, es ärgert mich sehr, das es wieder die gleichen Automobilhersteller sind die diese Wegwerfmentalität auch auf diesem Sektor versuchen einwirken zu lassen.
    Ich bin froh, das ich ein gesunden Kopf von unserem Schöpfer gekommen habe, der mich gut unterstützt bei Entscheidungen. Ich fahre einen Citroen Saxo Elektro Baujahr 97, mit ersten Nickel-Cadmium Batterien, ebenfalls nun 22jahre alt, alles funktioniert, ist voll recycelbar und bring mich täglich 60km zur Arbeit und zurück. Natürlich ist das, weil es läuft und bei ein bisschen Pflege sehr sehr alt werden kann nicht gewollt, dann natürlich gleich verboten worden, alles ja hochgiftig, viel viel giftiger als das harmlose Blei oder Kobalt….

    1. Manuel sagt:

      Die Energiedichte von Nickel-Cadmium Akkus ist verglichen mit modernen NMC-Zellen unterirdisch. Der Saxo hatte und hat sicherlich seine Daseinsberechtigung, aber für die breite Masse nicht zu gebrauchen. Die akzeptanz der Elektromobilität steht und fällt nunmal mit der Nutzbarkeit. Wenn ich alle 75Km für mehrere Stunden an die Steckdose müsste, würde ich lieber Verbrenner fahren. Durch die rasant fortschreitende Entwicklung der Batterietechnologien sind mittlerweile auch Strecken von 1000Km am Tag kein Problem mehr.

  2. Wilfried B. sagt:

    Danke für diesen tollen Artikel! Auch wenn ich es theoretisch schon in Betracht gezogen hatte als relativ frischer E-Mobilist (Zoe Z. E. 50 R135), so hat mich der Artikel endlich mal fundiert über das BMS und Balancing informiert und damit auch bestätigt. Die Einzige Frage, die offen bleibt: Wenn doch alle Hersteller nur passives Balancing nutzen, wie kann dann ein Fahrzeug wie die Zoe das „automatisch“ machen, wenn ich nie die Gelegenheit lasse, Ladestrom über 99% hinaus zur Verfügung zu stellen, weil ich „gedankenlos“ bei 99% das Laden beende? Die Zellen untereinander balancieren sich ja nur bei aktivem Balancing…. bedeutet das, wenn ich direkt bei 99% abbrechen, wird der Akku auf die schwächste Zelle zu diesem Zeitpunkt „balanciert“? Das wäre dann ja eher Vergeudung, weil ja mit weiter zugeführtem Ladestrom die stärkeren Zellen noch weiter laden, oder nicht?! Insofern scheint das für mich widersprüchlich zu sein. Während ich das hier schreibe, lädt meine Zoe jedenfalls weiter auf 99%, ich fahre ab und zu mal längere Strecken und mag daher die bestmögliche Reichweite „genießen“ – richtiges oder falsches Verhalten?

    Danke jedenfalls für diese Artikel, sehr sehr hilfreich für mich!

    Viele Grüße, Wilfried

    1. Marcus Zacher sagt:

      Hallo Wilfried,

      keine Sorge, du kannst die Zoe problemlos immer voll laden, ohne dass die Batterie schaden nehmen wird. Da du nie die volle Kapazität des Akkus ausnutzen kannst (vergleiche Brutto-/Nettoenergie), wird der Akku geschont und altert langsamer. Das passive Balancing wird auch aktiviert, wenn der Akku nicht ganz voll ist, also auch bei 20 %, 50 % oder 80 %. Immer dann, wenn das Fahrzeug steht, prüft das BMS, ob die Zellspannungen angeglichen werden müssen und startet ggf. das Balancing.
      Beim Laden musst du dir dennoch keine Sorgen machen. Sobald die erste Zelle die Ladeschlussspannung erreicht (das ist meist bei der Zelle mit der geringsten Kapazität der Fall), wird der Ladevorgang beendet. Die anderen Zellen sind dann noch nicht voll aufgeladen. Daher beginnt jetzt das Balancing, d.h. die schlechteste Zelle wird entladen, bis sie auf dem Niveau der anderen Zellen ist. Schlaue BMS laden jetzt noch einmal die kleine Energiemenge nach, bis der Akku wirklich zu 100 % gefüllt ist.

      Viele Grüße
      Die EAM-Redaktion

  3. Verena sagt:

    Als Fan der Elektromobilität habe ich mich sehr über eine so gute und ausführliche Beschreibung gefreut, vielen Dank! Ich staune jedes Mal wieder, wenn unser Nachbar mit seinem Tesla nach Hause fährt, was mich zu dem Entschluss gebracht hat, ebenfalls Teil der Revolution zu werden. Weiterer Pluspunkt: Im Falle eines Schadens muss kein Verlust der Garantieansprüche befürchtet werden, wenn der Tesla in Karosserie-Werkstatt gebracht wird.

  4. Helme101 sagt:

    Intressant die Erklärung das jede einzelne Zelle überwacht wird, das heißt, es ist jede Zelle mit einem Draht verbunden. Denn nur so kann die Zellelnspannung gemessen werden. So kann sie geladen und entladen werden. Wie viele Drähte od. Leiterbahnen sind vorhaden.

  5. Sven sagt:

    „Wie viele Drähte od. Leiterbahnen sind vorhanden.“
    Das kannst du dir doch selber leicht zurechtlegen;-)
    Bei 4 Zellen werden 5 Kabel benötigt, bei 6 Zellen, 7 Kabel

    Parallelgeschaltete Zellen werden natürlich nicht gesondert überwacht, würde ja keinen Sinn machen.

  6. Kasch sagt:

    Na, ganz so einfach ist es leider doch nicht. Um auf die git 400V zu kommen, müssen Zellen parallel geschaltet werden. Diese Zellen sind vom BMS nur als eine Zelle messbar. Ist eine Zelle z.B. in einem 3P-Verbund beschädigt, hängt deren Zellspannung deutlich nach, wärend die beiden anderen vielleicht schon voll sind. Das BMS misst nur den Parallelzellverbung mit gemittelt leicht nächhängender Zellspannung. Problematisch sind die beiden (noch) gesunden Zellen, da sie permanent voll- bzw. überladen werden könnten. Das aktuelle BMS beim Hyundai Kona elektro z.B. deaktiviert die Fahrbereitschaft, sobald eine von 98 Cells (3P-Verbünde) auch nur um 60 mV nachhängt. Weder Kunde, noch ADAC bringt das Fz wieder in Fahrbereitschaft und das ist durchaus gewollt, damit lückeloser Nachweis gegenüber dem Zellhersteller erbracht werden kann.
    Aus eigener Erfahrung kann ich nur dringendst dazu raten, neue NMC-Pouchzellen ein bis zwei Monate nicht zu stressen. Sinkt auch noch der Wasserstand in dieser Zeit plötzlich deutlich, muss man davon ausgehen, dass eine Luftblase wochenlang dafür sorgte, dass die ein oder andere Zelle überhaupt nicht temperiert wurde. Die flache Hochvoltbatterie mit den verwinkelten dünnen Kühlleitungen, alle auf dem selben Höhenneveau lassen sich nicht unbedingt vollständig entlüften.

  7. Bernhard sagt:

    Danke für die Erklärung – wirklich interessant.
    Leider haben sich am Anfang scheinbar ein paar Zahlenfehler eingeschlichen: 4,2 Volt ist die Ladespannung einer Li-Ion Zelle, die Ausgangsspannung beträgt max. 3,7 Volt. Meines Wissens hat Tesla Standard 18650 Zellen von Panasonic für das erste Model S verwendet. Die Kapazität einer Zelle sind max 3,5 A – nicht 13,4 – vielleicht ist einfach die 1 davor falsch. Außerdem werden Zellen, um eine höhere Spannung zu erreichen in Reihe geschaltet – nicht parallel. Durch Parallelschaltung wird die Kapazität erhöht.
    Ich schreibe das nur, damit nicht falsche Infos in den Köpfen der Leser hängen bleiben.
    Sollte ich was falsch verstanden haben, bitte schreiben.

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