Der Luftwiderstand – und was wir darüber vom Pinguin lernen können

21.08.2017 von Redaktion Elektroautomobil

„Der Luftwiderstand steigt quadratisch mit der Geschwindigkeit“ – diese Aussage kennen wir noch aus dem Physikunterricht in der Schule. Doch warum ist das eigentlich so? Und was bedeutet das für die Fortbewegung mit dem Elektroauto?

Je größer die Angriffsfläche, die sich dem Fahrtwind entgegenstellt, desto größer ist die Kraft, die man aufbringen muss, um diesen zu überwinden. Ist das Hindernis doppelt so groß, verdoppelt sich auch die Kraft. Umgekehrt gilt, dass ein Segelschiff mit doppelt so großem Segel bei gleicher Windstärke eine doppelt so große Antriebskraft erfährt. Das ist intuitiv nachvollziehbar.

Weniger per Intuition zugänglich ist allerdings eine weitere Eigenschaft des Fahrtwindes: Mit zunehmender Windgeschwindigkeit steigt die auf ein Segel oder allgemein auf einen Körper wirkende Kraft nicht linear, sondern quadratisch. Segler mag das freuen, Autofahrer weniger: Verdoppelt man seine Fahrtgeschwindigkeit, wirkt der dabei entstehende Fahrtwind nicht mit der doppelten, sondern mit der vierfachen Kraft entgegen. Beschleunigt man auf das Dreifache der anfänglichen Geschwindigkeit, steigt der Luftwiderstand sogar auf das Neunfache an. Wie kann man diese Tatsache anschaulich, ohne allzu viel Mathematik und Physik, verstehen? Gar nicht so einfach, aber versuchen wir’s.

Was Konzertbesucher und Luftmoleküle gemeinsam haben
Wenn wir mit dem Auto fahren, muss die entgegenströmende Luft von diesem permanent verdrängt werden. Hat man ein windschnittiges, also aerodynamisches Fahrzeug, wird ein Großteil der Luft seitlich vorbeigeleitet. Man kann sich das so ähnlich vorstellen, wie wenn man bei einem Konzert ganz hinten steht und sich zur Bühne vorarbeiten will. Wenn man Glück hat, läuft man nicht gegen einen herumstehenden Konzertgast, sondern touchiert diesen seitlich und drängt ihn zur Seite. Meist läuft man jedoch frontal auf jemanden auf, schiebt ihn ein Stück vor sich her, bis er seitlich weggedrückt wird. Ja, und so wiederholt sich das, bis man ganz vorne angelangt ist oder schließlich doch an einem standfesten Zuseher mit 150 Kilogramm Lebendgewicht scheitert.

Schneller voran geht es, wenn man seine Hände spitz nach vorne streckt, denn dann entsteht eine Art Keil und man wird die Menschenmasse etwas leichter zur Seite drängen. Zieht man die Analogie zum Luftwiderstand, so stellen die Luftmoleküle die Zuschauer beim Konzert dar. Zugegeben, molekulare „Zuschauer“ gibt es hier ein paar mehr, denn in einem Kubikmeter Luft sind mehr Luftteilchen, als es Sterne im Universum gibt – eine Zahl mit 25 Nullen. Diese haben zusammen ein Gewicht von ca. 1,3 Kilogramm, die da „dumm“ herumhängen und uns am Vorankommen hindern.
Das Größenverhältnis von Auto zu Luftteilchen versus Durchdrängler zu Konzertbesucher stimmt natürlich überhaupt nicht, aber das spielt für das prinzipielle Verständnis keine Rolle. Mit dem Auto fährt man praktisch ständig auf irgendwelche Luftmoleküle frontal auf. Nun gut, nehmen wir jetzt einfach an, wir vereinfachen rigoros und vernachlässigen all die Luftmoleküle, die sich seitlich am Auto vorbeischwindeln oder diejenigen, die sich in den Nischen und Ecken und der wirren Verrohrung und Verkabelung am Unterboden verfangen. Oder jene, die sich bevorzugt am Heck turbulent zu drehen beginnen und dadurch einen bremsenden Sog erzeugen. Stattdessen denken wir uns jetzt einfach einen Würfel Luft mit einer Kantenlänge von einem Meter und einem Gewicht von 1,3 Kilogramm, der permanent auf das Fahrzeug auftrifft und den wir, da ja immer wieder Luft nachströmt, gezwungenermaßen auf die Geschwindigkeit unseres Autos beschleunigen müssen.

Bestätigung im Windkanal
Wie effektiv ein Auto mit diesen „Luftwürfel“ zurechtkommt, testen Automobilhersteller seit jeher in einem Windkanal. Dort werden Messungen zur Aerodynamik am stillstehenden Fahrzeug durchgeführt. Die Luftbewegung entsteht in diesem Fall nicht durch den Fahrtwind, sondern wird mit einem großen Gebläse erzeugt. Das Fahrzeug ist fixiert, sodass es von der anströmenden Luft nicht weggeblasen werden kann. Sensoren an den Rädern messen die Kräfte, die bei verschiedenen Windgeschwindigkeiten und Windrichtungen auf das Fahrzeug wirken.

Jetzt stellen wir uns vor, einer dieser Luftwürfel rast frontal auf das Auto zu und wird beim Auftreffen bis zum Stillstand abgebremst. Die dabei entstehende Kraft versucht, das Fahrzeug wegzudrücken. Die Größe der Kraft wird über Kraftsensoren an den vier Rädern angezeigt. In Wirklichkeit staut sich die Luft kontinuierlich am Fahrzeug. Die Luftmoleküle drängen sich durch den Aufprall zusammen und stauen sich auf. Nachkommende Luftteilchen laufen auf das verdichtete Luftpolster auf und werden abgebremst. Irgendwann wird die Luftdichte so groß, dass ein Teil der Luft seitlich herausgedrückt wird und an den Längsseiten des Fahrzeugs vorbeiströmt. Dieses „Aufstauen“ und „Herausdrücken“ von Luftteilchen läuft kontinuierlich ab. Nehmen wir nun an, wir könnten den gedachten Luftwürfel innerhalb einer Strecke von fünf Metern bis zum Stillstand abbremsen. Der Luftwürfel rast also auf das stillstehende Auto zu und wird bis kurz vor dem Auftreffen gleichmäßig auf 0 km/h abgebremst (siehe Illustration). Verdoppeln wir nun die Geschwindigkeit des Gebläses. Die Kraft, mit der wir diesen doppelt so schnellen Luftkubus abbremsen, lassen wir gedanklich gleich groß. Das bedeutet, wir müssen jetzt doppelt so lange auf den Luftwürfel drücken, bis dieser zum Stillstand gekommen ist. Das heißt, die Abbremszeit verdoppelt sich.

So weit alles klar? Aber Achtung, jetzt wird’s knifflig: Da die Geschwindigkeit des Luftwürfels zu Beginn doppelt so hoch ist und gleichmäßig bis zum Stillstand abnimmt, muss auch seine Durchschnittsgeschwindigkeit doppelt so groß sein. Also jene Geschwindigkeit, mit der der Luftwürfel in derselben Zeit mit konstanter Geschwindigkeit, also ohne abzubremsen, die gleiche Wegstrecke zurücklegen würde. Diese Wegstrecke ergibt sich aus der Durchschnittsgeschwindigkeit multipliziert mit der Zeit, die zum Abbremsen benötigt wird. Da nun beide Werte, also Abbremszeit und Durchschnittsgeschwindigkeit, doppelt so groß sind, ergibt sich insgesamt ein um den Faktor 4 (2 mal 2) höherer „Luftbremsweg“. Da wir das Fahrzeug im Windkanal nicht nach hinten schieben können, müssen wir stattdessen viermal so stark gegen den Luftwürfel drücken, um den gedachten Luftwürfel nach fünf Metern zum Stillstand zu bringen.

Die Zeiger der Kraftmessung im Windkanal bestätigen diesen Wert, und da es der Natur egal ist, ob Luft gegen ein stillstehendes Auto oder ein Auto gegen die stillstehende Luft fährt – so wie Einstein schon sagte: “Alles ist relativ“ –, bekommen wir das gleiche Ergebnis, wenn wir mit dem Auto die Geschwindigkeit verdoppeln: Der Luftwiderstand muss sich vervierfachen.

Der cW-Wert: Annäherung an die Wirklichkeit
Würde die Natur so einfach funktionieren wie gerade beschrieben, wären wir nun fertig. Sämtliches Wissen, um ein aerodynamisches Fahrzeug zu konstruieren, wäre vorhanden. Man müsste einfach die Luftangriffsfläche des Fahrzeuges so klein wie möglich, oder besser gesagt, so groß wie eben nötig konstruieren, um so wenig Luft wie möglich vor sich herschieben zu müssen. Ob das Fahrzeug eine senkrechte oder flache Frontscheibe hätte, lang oder kurz wäre oder welche Eigenschaften auch sonst hätte, es würde keine Rolle spielen, denn es zählte nur die Größe der senkrechten Angriffsfläche, die sich der waagerecht anströmenden Luft in den Weg stellt. Aber leider verhält sich die Natur der Luftströmungen nicht so einfach. Da diese unglaubliche Anzahl von Luftmolekülen schier unendlich viele Wege entlang des Fahrzeuges nehmen kann und dabei auch turbulente Strudel entstehen können, ist es selbst für leistungsfähige Großrechner eine Herausforderung, alle möglichen Szenarien am Computer durchzurechnen. Dies ist auch der Grund, warum aerodynamische Optimierungen immer noch im Windkanal durchgeführt werden, anstatt sie einfach nur rechnerisch zu simulieren. Man erhält so verlässlichere Ergebnisse und kann die Auswirkung von Veränderungen am Fahrzeug rasch überprüfen.

Um nun eine konkrete Aussage über die Windschnittigkeit eines bestimmten Fahrzeugs machen und verschiedene Fahrzeuge miteinander vergleichen zu können, führt man einen Faktor ein: den cW-Wert, auch Strömungswiderstandskoeffizient oder Widerstandsbeiwert genannt. Er gibt Auskunft darüber, wie stark die Form eines Körpers von der idealisierten Betrachtung abweicht. Wir erinnern uns: Idealisiert bedeutet, dass alle Luftteilchen, die mit dem Auto in Berührung kommen, auf die Fahrtgeschwindigkeit beschleunigt bzw. im Windkanal am stillstehenden Fahrzeug abgebremst werden müssen. Hat ein Körper beispielsweise einen cW-Wert von 1, verhält er sich wie bei unserem Gedankenexperiment. Hat er aber einen Wert von 0,2, bedeutet dies, dass nur 20 Prozent der Luft, die mit dem Fahrzeug in Berührung kommt, tatsächlich auf Fahrtgeschwindigkeit beschleunigt werden muss, der Rest schwindelt sich irgendwie an der Karosserie vorbei – so ähnlich, wie wenn wir uns im Beispiel von vorhin mit keilförmig gespitzten Händen beim Konzert nach vorne drängeln.
Umgekehrt heißt das: Die für den Luftwiderstand relevante Angriffsfläche des Fahrzeugs – auch projizierte Stirnfläche genannt – könnte fünfmal größer ausfallen und wäre immer noch so gut wie ein Körper mit einem cW-Wert von 1. Allerdings gibt es auch Körper oder Formen, die in die andere Richtung extrem ausschlagen. Ein Beispiel wäre der Fallschirm. Dieser hat einen Widerstandsbeiwert von etwa 1,4. In diesem Fall ist ein schlechter cW-Wert auch gewünscht, um eine starke Bremswirkung zu erreichen.

Warum ein guter cW-Wert besonders bei Elektroautos von Bedeutung ist
Da ein Fahrzeug Energie benötigt, um die Luft permanent vor sich herzuschieben, ist ein kleiner cW-Wert grundsätzlich erstrebenswert. Zum Beispiel könnte man ein Auto so konstruieren, dass eine fünfköpfige Familie hintereinander sitzt und so eine sehr kleine Stirnfläche erreicht wird, aber ein solches Fahrzeug wäre wohl kaum verkäuflich. Somit versuchen sich Automobildesigner schon seit über einem Jahrhundert an einem Kompromiss zwischen einer möglichst windschnittigen und gleichzeitig gefälligen Form. Ein besserer cW-Wert macht sich sofort durch einen geringeren Energieverbrauch bemerkbar: Schon eine Senkung um ein Hundertstel, also zum Beispiel von 0,3 auf 0,29, reduziert den Treibstoffverbrauch bei realem Fahrprofil um 0,1 Liter pro 100 Kilometer. Das entspricht bei Superbenzin in etwa dem Energieäquivalent von 1 kWh pro 100 Kilometer, die man dadurch einspart.
Wenn wir nun von einem durchschnittlichen Verbrauch bei E-Autos von 15 kWh pro 100 Kilometer ausgehen und das Verhältnis der unterschiedlichen Wirkungsgrade von Verbrennungs- und Elektrofahrzeugen berücksichtigen, entspricht diese eine Kilowattstunde je nach Fahrprofil einer zusätzlichen Reichweite von drei bis 15 Kilometern, die man auf 100 Kilometer dazugewinnt. Bei einem Elektroauto mit unter 200 Kilometer Reichweite pro Batteriefüllung macht sich dieser Reichweitenzuwachs viel stärker bemerkbar als bei einem Benziner, und jeder zusätzlich gewonnene Kilometer bedeutet auch einen Zeitgewinn, denn Nachladen dauert ja schließlich auch länger als Nachfüllen. Dasselbe gilt auch beim Bremsen: Da ein Elektroauto zum Verzögern den Elektromotor als Generator verwendet und, anstatt Energie in Wärme umzuwandeln, zum Laden der Batterien nutzt, sollte möglichst wenig Bremsenergie durch den Luftwiderstand irreversibel vernichtet werden.

Nehmen wir uns ein Beispiel am Pinguin!
Ein Pinguin hat den sensationellen cW-Wert von 0,035. Das ist der beste in der Natur vorhandene Wert. Auch wenn es dem Pinguin wahrscheinlich herzlich egal ist, so ermöglicht es ihm ein Leben mit einem erstaunlich geringen Energieverbrauch bei der Fortbewegung. Ein Pinguin ist in der Lage, im Wasser eine Entfernung von 1500 Kilometern zurückzulegen und dabei lediglich eine Energiemenge zu verbrauchen, die einem Liter Treibstoff oder 9 kWh entspricht. Eine Leistung, die in der Technik vom Menschen bisher nicht erreicht wurde. Einem Elektroauto mit diesem fantastischen cW-Wert würde der Saft mit Sicherheit nicht so schnell ausgehen. (Von makeam | Fotos: Mercedes, Volswagen, NASA)

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