Auf dem Weg in die elektromobile Stadt

28.05.2017 von Redaktion Elektroautomobil

Die Stadtentwicklung wird seit jeher entscheidend von der Mobilität geprägt – in der jüngeren Geschichte besonders tiefgreifend durch den motorisierten Individualverkehr. Ähnlich prägnante Veränderungen stehen in den nächsten Jahrzehnten bevor: Einblicke in das Leben in einer künftigen „elektromobilen“ Stadt.

Ähnlich prägnante Veränderungen stehen in den nächsten Jahrzehnten bevor: Aktuelle Trends und Entwicklungen zeigen sich zuerst in den Städten. Wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, treten Probleme in konzentrierter Form zutage. Dies gilt auch und besonders für die Mobilität: Während das Fahren auf einer leeren Landstraße auch heutzutage noch Freude machen kann, stöhnen die Städte zunehmend unter den Auswirkungen der Massenmotorisierung. In Stuttgart häufen sich die Feinstaubalarme, und in Peking kann man an manchen Tagen ohne Atemschutz nicht mehr vor die Tür gehen.

Doch nicht nur die Probleme, auch mögliche Lösungen zeichnen sich in den Städten zuerst ab. Eine davon ist die Elektrifizierung der Antriebe, um – zumindest lokale – Emissionen zu eliminieren. Immer mehr Städte werden in den nächsten Jahren Maßnahmen ergreifen (müssen), um ihre Lebensfähigkeit zu erhalten – beispielsweise durch Einführung einer Citymaut oder Umweltzone, in der nur noch emissionsfreie Fahrzeuge verkehren dürfen. Auch die hierfür nötige technische Infrastruktur wird zuerst in den Städten verfügbar sein. Die vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) im Jahr 2011 veröffentlichte Studie „Roadmap Elektromobile Stadt“ sieht die Stadt daher als „Katalysator für Elektromobilität“.

Nutzen statt besitzen
Für den Stadtplaner Steffen Braun, Teamleiter Urban Systems Engineering am Fraunhofer IAO und Mitautor der Roadmap-Studie, macht das Elektroauto allein allerdings noch keine elektromobile Stadt aus: „Einfach nur den Antriebsstrang auszuwechseln, würde wenig verändern.“ Notwendig sei eine grundlegende Änderung des Mobilitätsverhaltens, weg vom individuellen Fahrzeug und hin zur geteilten Nutzung.

Tatsächlich wird das Autoteilen, neudeutsch Carsharing, immer beliebter. Anfang 2016 gab es in Deutschland laut Bundesverband Carsharing 1,26 Millionen registrierte Nutzer und 16.100 Fahrzeuge. Bei einem Gesamtbestand von 45 Millionen Pkw ist dies zwar noch ein bescheidener Anteil, selbst wenn man in Rechnung stellt, dass ein geteiltes Auto bis zu zehn private Pkw ersetzen kann. Die Zuwachsraten sind jedoch beachtlich: Vor 15 Jahren gab es in Deutschland erst 1.000 Carsharing-Fahrzeuge.

Berechtigte Hoffnung auf eine andere Einstellung zum Auto und zur Mobilität besteht insbesondere bei den Jüngeren, bei denen Freiheit und gesellschaftliche Anerkennung nicht mehr an den Besitz eines eigenen Automobils geknüpft sind. „Ältere wurden mit dem Auto sozialisiert und werden nicht freiwillig darauf verzichten“, glaubt Steffen Braun. „Aber viele Jüngere wissen, sie binden sich damit nur einen Klotz ans Bein.“ Tatsächlich zeigt die Statistik einen deutlichen Rückgang des Autobesitzes und der Autonutzung bei 18- bis 29-Jährigen – manche sprechen schon scherzhaft von einer „Generation ohne Golf“.

Neue Vielfalt der Verkehrsmittel
Statt für alle Wege das eigene Auto zu nutzen, werden die Bewohner der elektromobilen Stadt ihr Verkehrsmittel noch mehr als heute situationsbedingt auswählen oder auch mehrere Verkehrsmittel kombinieren – „Multimodalität“ heißt das Prinzip. Um die Fahrpläne und Tarife von Bus, Bahn, Carsharing oder Leihfahrrädern muss sich der multimodal Reisende künftig keine Gedanken mehr machen: Dies erledigt eine Mobilitäts-App auf seinem Smartphone für ihn, die ihm mögliche Reiseketten zum gewünschten Ziel vorschlägt. Derartige Apps gibt es schon heute, beispielsweise „Qixxit“ von der Deutschen Bahn oder „Moovel“ aus dem Hause Daimler. Ganz reibungslos funktioniert die Vernetzung der verschiedenen Verkehrsanbieter noch nicht, aber wohin die Reise geht, lässt sich schon gut erkennen.
Mit der Multimodalität geht auch eine steigende Nutzung elektrischer bzw. emissionsfreier Verkehrsmittel einher. Öffentliche Verkehrsmittel wie Straßenbahnen und U-Bahnen fahren seit jeher elektrisch, für Busse ist die Elektrifizierung ebenfalls schon absehbar. Einen wahrhaften Boom gibt es bei Fahrrädern mit elektrischem Hilfsantrieb: Allein in Deutschland wurden im letzten Jahr über eine halbe Million Pedelecs und E-Bikes verkauft. Ob mit oder ohne Motor, das Fahrrad ist generell dabei, einen immer größeren Anteil der täglichen Verkehrswege zu übernehmen. In der dänischen Hauptstadt Kopenhagen nähert sich der Anteil von Fahrrädern am innerstädtischen Berufsverkehr bereits der 40-Prozent-Marke.

Warenverteilung per Elektromobil
Grundlegend wandeln wird sich nicht nur der Personen-, sondern auch der Wirtschafts- und Warenverkehr, der nicht zuletzt durch den Internet-Versandhandel stark zugenommen hat. „Amazon, DHL & Co. stellen heute ein massives Problem dar“, sagt Dietmar Göhlich, Professor an der Technischen Universität Berlin und Koordinator des fakultätsübergreifenden Forschungsnetzwerks Elektromobilität. „Dieser Verkehr muss dringend reduziert und intelligenter organisiert werden.“ Rund um die Städte gebe es schon heute große Logistikzentren; von dort aus könnten kleine Elektrofahrzeuge oder auch elektrische Lastenfahrräder, koordiniert durch eine anbieterübergreifende Logistik, die Feinverteilung in der Innenstadt übernehmen.
Gleichermaßen plädiert Göhlich für eine schnelle Elektrifizierung der Fahrzeugflotten von Behörden und Dienstleistern: „Es gibt überhaupt keinen Grund, warum die Fahrzeuge von Polizei, Stadtreinigung, Sozial- und Pflegediensten und auch von Taxis oder Carsharing nicht sofort elektrifiziert werden sollten.“ Vom Nutzungsprofil gebe es kaum Probleme mit der begrenzten Reichweite der Elektrofahrzeuge, nur deren höhere Anschaffungskosten stellten gegenwärtig noch ein Hemmnis dar.
Ein emissionsfreier Waren- und Flottenverkehr wäre auch ein großer Gewinn für die Qualität der Stadtluft. Nach Angabe des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu) verursachen allein die Lkw-Fahrten rund 50 Prozent der lokalen Emissionen in den Städten, obwohl ihr Anteil an der Verkehrsleistung bei nur zehn Prozent liegt. Wird der Warenverkehr elektrifiziert, können die Fenster auch an Hauptstraßen wieder geöffnet werden. Der typische Stadtgeruch wird dann nicht mehr von Benzin- und Dieselschwaden dominiert, sondern andere Duftnoten – Menschen, Tiere, Pflanzen, Märkte, Meeresluft – treten wieder deutlicher hervor.

Nicht leise, aber weniger laut
Neben einer Verbesserung der Luftqualität erhoffen sich viele Stadtbewohner von der Elektromobilität auch eine spürbare Lärmminderung. Diese Hoffnung wird sich allerdings nur teilweise erfüllen, denn Elektroautos sind nicht per se leise: „Ihre spezifischen Vorteile für den Lärmschutz liegen im Bereich des Anfahrens und bei Geschwindigkeiten bis ca. 25 km/h. In allen anderen Situationen sind sie genauso laut wie Fahrzeuge mit klassischem Verbrennungsmotor“, heißt es in einem Positionspapier des deutschen Umweltbundesamtes (UBA). Denn oberhalb dieser Geschwindigkeit überwiegen bei einem Pkw die Rollgeräusche, die durch den Kontakt zwischen Reifen und Fahrbahn entstehen, gegenüber dem Antriebsgeräusch. Bei Lkw dominieren die Rollgeräusche erst ab etwa 50 km/h. Bei schweren Fahrzeugen wie Bussen und Müllsammelfahrzeugen ist eine Lärmminderung durch den Elektroantrieb also eher gegeben.

Vor allem punktuelle Lärmbelastungen an Ampeln, Kreuzungen und Haltestellen werden durch die fast lautlos anfahrenden Elektrofahrzeuge hörbar vermindert. Innerstädtische Hauptstraßen können so wieder zu attraktiven Wohnadressen werden. Wenn die Stadt wirklich leise werden soll, sind jedoch neben der Elektrifizierung der Antriebe weitere Maßnahmen erforderlich, etwa der Einsatz von lärmmindernden Reifen und Straßenbelägen („Flüsterasphalt“), die konsequente Reduktion innerstädtischer Geschwindigkeiten sowie eine Umverteilung des städtischen Raums zugunsten stadtverträglicher Verkehrsarten.

Mehr Raum für die Stadtbewohner
Bereits heute ist man in vielen Städten dabei, den „autogerechten“ Umbau der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg zu revidieren. Damals sind in vielen Städten unwirtliche, verlärmte Durchgangszonen entstanden, in denen sich die Stadtbewohner nicht länger als nötig aufhalten. Inzwischen werden vielerorts überdimensionierte Straßen zurückgebaut und stattdessen Straßenbahntrassen, Fahrradwege und breite Bürgersteige angelegt. Hauptverkehrsstraßen werden wieder zu Hauptstraßen, in denen man flanieren und das urbane Lebensgefühl genießen kann. „Uns ist gar nicht mehr bewusst, wie viel Platz wir für den Verkehr verschwenden“, sagt Steffen Braun vom Fraunhofer IAO. „Dieser Flächenbedarf ließe sich halbieren, ohne unsere Mobilität einzuschränken. Theoretisch könnte man so beispielsweise im Stadtgebiet von München Bauland im Gegenwert von 50 Milliarden Euro gewinnen.“

Einfluss auf die künftige Gestaltung des städtischen Raums wird auch die Art und Unterbringung der notwendigen Ladeinfrastruktur für die Elektrofahrzeuge haben. TU-Professor Dietmar Göhlich sieht hier eine zentrale Herausforderung auf dem Weg zur elektromobilen Stadt: „Bisher gibt es hierfür keine Patentlösung.“ Zu lösen sei nicht nur die technische Seite, sondern auch die Entkopplung der beiden Funktionen Parken und Laden, damit Ladestationen nicht von Langzeitparkern blockiert würden. Grundsätzlich kämen daher nur Schnellladesysteme infrage. Unauffällig ins Stadtbild integrieren ließen sich beispielsweise induktive Ladeflächen.

Wann wird die Stadt elektromobil?
Die meisten der hier skizzierten Entwicklungen sind keine Spekulationen, sondern heute schon, zumindest in Ansätzen, erkennbar. Beim Fraunhofer IAO geht man davon aus, dass die Veränderungen im Stadtbild ab den 2030er-Jahren deutlich sichtbar werden. Zurzeit mangelt es allerdings noch an entscheidenden Elementen, die eine künftige elektromobile Stadt ausmachen werden: eine ausreichende Auswahl erschwinglicher Fahrzeugmodelle für den Personen- und Wirtschaftsverkehr, eine effektive und stadtbildverträgliche Ladeinfrastruktur sowie eine ausreichende Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger, um echte Multimodalität zu ermöglichen. Spätestens dann wird das (elektrifizierte) Auto nicht mehr das Maß aller Dinge sein, sondern ein Element unter vielen im multimodalen Verkehrssystem der elektromobilen Stadt. (Von Reinhard Huschke)

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