80 eDays 2016

20.09.2016 von Redaktion Elektroautomobil

Jules Verne war ein Fantast. Schillernde Romanfiguren ließ er zum Mittelpunkt der Erde reisen, zum Mond oder gleich durch das Sonnensystem. Sein bekanntester Trip auf Erden war jedoch ganz und gar nicht ersponnen, sondern besaß eine reale Blaupause: „In 80 Tagen um die Welt“ – das hatte der US-Amerikaner George Train 1870 vorgemacht. Seitdem ist die Frage des „Ob“ beantwortet, seit 2012 auch für Elektroautos – eine Steckdose zum Laden findet man selbst in der Pampa. Ob das reicht, wenn man im knappen Dutzend unterwegs ist, haben zwischen Juni und September als Weltpremiere etliche internationale Teams im wörtlichen Sinne „erfahren“. Mit bei den „80eDays“: die Becker-Brüder aus dem Ruhrgebiet.

Boxenstopp am Supercharger Kamen, nahe der A 2. Sechs Tesla hängen am Kabel, darunter sogar zwei Model X. Doch wenn sich ein wissbegieriger Zaungast herantraut, steuert er den roten S P85+ an, Spitzname „Red Diva“. Ob der wirklich einmal um den Globus gefahren sei? „Klar“, sagt Fabian Becker freundlich, zeigt auf die Roadfolie im Heckfenster, kramt einen der letzten Flyer hervor. Und wer’s immer noch nicht glaubt, darf einen Blick auf das Display werfen. Stattliche 166.000 Kilometer Laufleistung sind dort inzwischen ausgewiesen, genau 29.126 davon haben die sommerlichen „80eDays“ beigesteuert. „Boah“, sagt der Mann, „wie geht das denn?“

Gute Frage. Schon allein der Teil, wie man sich so eine Weltreise eigentlich leisten kann. Es sind ja nicht nur die knapp 90 Tage inklusive Anreise nach und Rückkehr von Barcelona. Tour-Organisator Rafael de Mestre hat offenbar genug Vertrauen, seine IT-Beratungsunternehmen in Rumänien, Kasachstan oder Deutschland eine Weile sich selbst zu überlassen. Andrew Zhong ist in China Elektromobilitäts-Botschafter und war quasi dienstlich mit seinem Danza dabei. Federico Bianchi, ein waschechter Baron aus dem Veneto, betrachtete die Tour im „Team Italia“ vermutlich als das Vergnügen seines Lebens.

Aber Fabian (31) und Bruder Gordon (29) Becker sind: Binnenschiffer. Als zweiter und dritter Kapitän steuern sie für gewöhnlich die familieneigene „MS Krantor“ mit großen Windanlagenteilen oder schweren Schmelztiegeln durch Mitteleuropa. „Red Diva“ begleitet die Touren an Deck, wird unterwegs mit kinetisch gewonnener Energie geladen und dient als Reiselimousine für die Heimfahrten nach Westfalen, was auch die enorme Laufleistung seit 2014 erklärt. „Wir haben uns mit den Eltern zusammengesetzt und sie gefragt: Euch ist klar, dass ihr das Schiff fast den ganzen Sommer allein fahren müsst? Aber das ging schon – außerdem hatten wir auch seit fast vier Jahren keinen Urlaub mehr gehabt …“

Die Vorbereitung: Schon im November 2015 trafen sich die Teilnehmerteams im niederländischen Tilburg zum Beschnuppern und ersten Briefen. Klar war, dass alle gemeinsam in Barcelona starten würden und nach 80 Tagen zusammen die Ziellinie beim Arc de Triomf passieren wollten. Bis dahin sollte aber noch reichlich gemeinschaftliche wie individuelle Arbeit anfallen. So tauschten Alan Soule vom Team USA und die europäischen Partner reichlich Ladestecker … was aber nicht ausreichen sollte, wie sich unterwegs zeigte. Auch Versicherungsschutz warf immense Probleme auf. „Der Standard heißt Haftpflicht und Vollkasko in Europa. Diebstahlschutz gibt es aber schon nicht für Russland“, berichtet Fabian Becker. „Und das Ganze weltweit? – Wir konnten es schließlich mit einer Wohnmobil-Police halbwegs lösen.“

Die Route: Jules Verne schickte seinen Weltreisenden Phileas Fogg von West nach Ost um den Globus, die „80eDays“-Formation fuhr dagegen der Sonne hinterher. Einige Metro-Städte wie Lissabon, Halifax oder Guangzhou waren allein durch den Lufttransport über die Meere „gesetzt“, andere Stationen mit Präsentationen oder Sponsorenbesuchen belegt. Und dann gibt’s ja auch noch touristisch bedeutsame „Musts“: Kann man durch die Nevada-Wüste cruisen und den Las Vegas Strip links liegen lassen? Oder später das Hollywood Sign in Los Angeles? Den Roten Platz in Moskau gar? – Kann man nicht. Insgesamt acht Tesla Model S gingen an den Start – darunter Andreas Rieger und Rüdiger Hehl im Team „Germany 1“, Elisabeth und Logistikunternehmer Franz Blum als „Team Austria“ sowie die Schweizer Beat Müller und Rudi Zbinden mit „Switzerland 2“. Einen Tesla Roadster („Switzerland 1“) steuerten zudem Markus Doessegger und Matthias Aebi. Nur den europäischen Teil begleitete das ungarische Team mit seinem elektrischen Evobus … für den Lufttransport über die großen Meere hätte man vermutlich sonst einen Antonow-Frachtflieger chartern dürfen.

Schon die ersten Kilometer auf nordamerikanischem Boden gerieten zu einer lustigen Demonstration, was ein Autohersteller-Neuling wie Tesla an Details offenbar übersehen hat. Das Navi (und damit auch die Ladeorte-Anzeige) der in Tilburg gebauten europäischen Modelle wies unerschütterlich den Abflugort Lissabon nebst reizender Umgebung aus. Offenbar hatte im Silicon Valley niemand damit gerechnet, dass sich jemals solch ein Auto nach Amerika verirren könnte – und das passende Kartenmaterial gleich weggelassen. Frage der Teams nach Palo Alto: Könnt ihr das mal updaten? Antwort vom Tesla-Service: „Not possible.“ Diese standardisierte Rückmeldung, grummelt Gordon Becker, hätten sie im Verlauf der kommenden Wochen noch sehr häufig erhalten. Nun gut, man konnte sich mit Garmin-GPS und Windows-10-Karten auf dem Laptop behelfen.

Schlechter stand es allerdings ums Supercharging. Man hatte zwar vorab den US-Ladestecker erhalten. „Aber in den einphasig ausgelegten USA ist der halt anders belegt“, weiß Bruder Fabian jetzt. Zum Glück hatte er das Unheil früh gewittert und eine eigene Adapterbox konstruiert, mit dicken Kabeln und Extra-Überhitzungsschutz. Ein deutscher Sicherheitsingenieur würde seine helle Freude daran haben. „Naja – ich bin ja auch Schiffssystem-Informationselektriker“, wehrt Becker ab. „Trotzdem: Wir waren das einzige Team, das stets schnellladen konnte. Die anderen hatten nicht so viel Freude.“

Die skurrilen Momente: Mitten in Kansas piepte das Handy am 29. Juni sehr aufdringlich. Es rückten nicht – wie bei Jules Verne – Sioux-Indianer an. Dafür aber ein Tornado. „Den haben wir unter einer Brücke abgewettert, das war schon sehr beängstigend.“ An Gordons Geburtstag war inmitten der kasachischen Steppe die Batteriereserve fast aufgebraucht. „Da hatten wir den größten Spaß. Fünf Häuser und eine Tankstelle, die aber schon seit Jahren nicht in Betrieb war. Über einen Wandler haben wir halt direkt von der Überlandleitung Strom gezogen. Immer schön vorher gefragt natürlich.“ Notfalls mit einem handgemalten Zettel. Überhaupt war das Stromziehen zuweilen nur mit abenteuerlichen Bordmitteln zu realisieren. Zu einem solchen Dokumentationsfoto, das die Brüder Becker ins (unterwegs sehr hilfreiche) Forum der Tesla-Freunde posteten, sarkastelte ein Schweizer Forist: „Das eidgenössische Starkstrom-Inspektoriat würde euch alle verhaften lassen …“

Technisches Resümee der Tour: Die „Red Diva“ der Becker-Brüder hielt trotz der beachtlichen Vorlaufleistung wacker durch. Laut Bordcomputer verbrauchte das S-Model 5.532 Kilowattstunden, also exakt 19 Kilowattstunden auf 100 Kilometer. Durch sorgsames Laden verlor der Akku lediglich zwei Prozent seiner Speicherfähigkeit und lag am Ende (Tachostand: 160.000) nominell bei noch 371 Kilometern. Die größte Batteriefahrleistung wurde in den USA mit dokumentierten 506 Kilometern erzielt. Alles bestens also.

Was an starken Eindrücken bleibt: Der Empfang in China mit einer Show im Kongresszentrum Guangzhou – vor einem vieltausendköpfigen Publikum. Die vielen Windenergiefarmen im Land: „Von wegen, die Chinesen bauen ein Kohlekraftwerk nach dem anderen. Auch durch die E-Roller sind die Städte inzwischen viel sauberer, als hier erzählt wird.“ Die schönen Nächte in Astana, Las Vegas, Monaco und wer-weiß-wo. „Und vor allem diese unglaublich herzliche Gastfreundschaft überall“, sagt Fabian Becker. Tesla-Forist „Rachid“ hat vorsichtshalber schon einmal gefragt: „Darf man auf ein kleines Büchlein hoffen?“ (Tom Jost)

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